Der Vogel im Käfig

  • Ich fühle mich wie der Vogel im Käfig, der ahnt, dass jenseits der Gitterstäbe seines Käfigs das Leben sein muss.

    Der es jedoch aufgegeben hat, für die Freiheit zu kämpfen, da er gegen den Käfig nicht ankommt.

    Der resigniert hat und der sich umso mehr mit der Gefangenschaft arrangieren kann, je mehr die Erinnerung an ein anderes Leben verblasst.

    Er hält sie nicht fest die Erinnerungen - die er einst noch hütete wie einen wertvollen Schatz, ein Relikt aus einer vergangenen Zeit, als letzter Beweis dafür, dass es einmal eine andere Wirklichkeit gegeben hat - er lässt sie vergehen, weil es der einzige Weg ist, um hinter den Gitterstäben nicht zu Grunde zu gehen.

    Dessen Gesang grotesk und unecht klingt, da er gar nicht mehr weiß warum er singt, der lustlos seine Flügel ausstreckt, ohne jemals wieder davon Gebrauch machen zu können.

    Und am Ende vergisst er, dass er überhaupt einmal geflogen ist.

    (24.06.2012)

  • Man stelle sich vor, man säße an einem ganz gewöhnlichen Ort, beispielsweise einer kleinen Kneipe oder in einem Cafe, ist gerade in eine vollkommen banale Unterhaltung verwickelt mit einem ganz natürlichen und unverfälschten Menschen.

    Man nippt an seiner Tasse Kaffee, steckt sich eine Zigarette an, hört seinem Gegenüber aufmerksam zu, wie er sich über ganz triviale Themen des Alltags äußert. Ein Ort, zwei Menschen, eine Unterhaltung und doch fühlt man sich auf eine unangenehme Weise vom Hier und Jetzt abgespalten.

    Man öffnet den Mund, belanglose Worte fließen über die Lippen. Ein Blick auf die glühende Zigarette, deren blauer Dunst in der Luft kreative Kreise zieht. Sind das meine Worte? Unruhig beginnt man mit den Beinen zu tänzeln, als triebe es einen an einen anderen Ort.
    Aber wohin gehen? Der Ort vermag sich zu ändern, aber die Gedanken nicht.

    Man fühlt sich gefangen, blickt auf den sich eifrig bewegenden Mund seines Gegenübers, aus dem lebhaft Worte strömen, aber man nimmt sie nicht wahr.
    Der Mund geht auf. Der Mund geht zu. Wie der Mund eines Fisches, der stumm bleibt, obwohl er sich bewegt. Manchmal nickt man, wenn man es für angebracht hält, oder man lächelt, ohne zu wissen worüber man lächelt oder man schüttelt den Kopf. Die üblichen Höflichkeiten eben, die man seinem Gesprächspartner entgegenbringt, ohne dabei ertappt zu werden, wie man geistig ruhelos umherwandert, wie ein Schlafwandler, mal hierhin und mal dorthin, während der Körper wie in eine feste Form eingelassen, an ein und demselben Ort ausharrt.

    Man beginnt sein Gegenüber zu bewundern. Vergöttert wahrlich dessen Muße und Ausgeglichenheit und dessen Fähigkeit sich voll und ganz auf ein Gespräch, einen Ort, einen Menschen fixieren zu können. Er versinkt förmlich in der Gegenwart, während man selbst nur ein Wartender ist. Aber worauf warten? Auf einen Zug den man längst versäumt hat? Auf ein Ereignis, obwohl man überhaupt keine Pläne mehr schmiedet? Oder vielleicht auf einen Erfolg obwohl man keine Kraft mehr hat zum Träumen?

    Wenn ich mich doch wenigstens in dieses Gespräch mit integrieren könnte, denkt man verzweifelt. Aber was erzählen, wenn das eigene Leben nur eine Anhäufung etlicher gescheiterter Ausbrüche ist? Was erzählen, wenn man nicht einmal weiß, wer man ist? Wenn die eigene Identität längst bis zur Unkenntlichkeit verschwommen ist wie ein Tintenkleks im strömenden Regen, der zerrinnt und zerfällt? Was dann noch erzählen?

    Später verabschiedet man sich von seinem Gegenüber, einsam schlendert man die leergekehrten Straßen entlang. Wie ein kalter Luftzug strömt die Einsamkeit ins Innere, wo sie grausam ein schmerzliches Feuer entfacht, während einen die Dunkelheit mit einem anonymen Schleier belegt. Glücklicherweise, denn trotz des Schmerzes will man einsam bleiben.

    Im Schatten der Nacht erhebt sich eine Allee aus Laternen, die sich aufbäumt wie eine Reihe friedvoller Soldaten. Mit einer Fackel in der Hand rebellieren sie gegen die endlose Dunkelheit des Universums, tauchen die Straße in düsteres Licht, auf der man schwerfällig dahin trottet.
    Man steckt sich eine Zigarette an, peitscht den Rauch tief in die Lungen, so, als könne man damit den Schmerz betäuben, den dieser Mensch mit dem Fischmaul unbewusst in einem erzeugt hat.

    Hauptsache, ich habe keinen schlechten Eindruck hinterlassen, denkt man. Daheim wartet meine armselige Zelle auf mich. Sie wird mich schon richten für diesen misslungenen Tag. Mit diesem Gedanken stülpt sich groteskerweise Geborgenheit auf, wie eine beschützende Kuppel. Man atmet auf, ist froh, dass wenigstes etwas da ist, das man als sein Leben bezeichnen kann.
    Das bin ich, denkt man makaber, das ist mein Leben.

  • Ihr seht mich an
    Doch seht ihr mich nicht

    Ich versuche euch zu erklären
    Doch ihr wollt nicht verstehen

    Ich sage euch, ihr täuscht euch in mir
    Doch ihr hört mir nicht zu

    Denn ihr habt mein Portrait längst gemalt
    Eisern und bestimmt tragt ihr es in euren Köpfen
    Viel zu viel Kraft würde es kosten, es noch mal von vorn zu beginnen
    Nicht einmal meine Tränen
    Wischen fort einen einzigen Pinselstrich
    Auf dass ihr ihn nur ein einziges Mal hinterfragt

    Denn ich bin, was ihr sehen wollt
    Bin nicht ich
    Bin niemals ich gewesen

    Ich bin ein Kämpfer der Stille
    Mit Finsternis getarnt
    Die Waffen längst abgelegt
    Schreie ich in meiner Verzweiflung hinaus
    In den luftleeren Raum
    Seht mich
    Fühlt mich
    Begreift mich

    Doch ihr
    Ihr wollt mich nicht verstehen
    Wollt mich nicht hören
    Wollt mich nicht sehen

    Niemals werdet ihr mich sehen
    Und niemals werde ich ich sein

  • Ich frage mich oft, wie weit meine Kraft reichen würde, würde sie nicht restlos von den Depressionen absorbiert. Wenn ich meine Träume hätte leben können und sie nicht wie eine handvoll Staub aus meinen Fingern geglitten wären. Wenn mein Leben nicht einer veralteten, brüchigen Bühne gliche, die man nur vergessen hatte abzureißen. Die, sobald der Vorhang fällt, einen sonderbaren Schauspieler zum Vorschein bringt, der in voller Inbrunst in hübschen Metaphern verpackt, sein Leid hinaus posaunt ohne zu bemerken, dass seine Aufführungen längst niemand mehr besucht. Dass er völlig allein in einem menschenleeren Theater steht, und sich seine herzzerreissenden Worte im Nichts verlieren und für immer unerhört bleiben sollen.

    Einsamkeit. Meine Wirklichkeit ist Einsamkeit. Vor mir, in mir, um mich herum. Eisig kalte, alles verschlingende, unmenschliche, grausame Einsamkeit.

    Versteinert sitze ich auf der Pritsche meiner grauen, kalten Gefängniszelle. Die Wände sind kalt und strukturlos. Verzweifelt blicke ich auf den Boden herab und registriere den Trümmerhaufen zu meinen Füßen. Ich versuche vergeblich dessen Fragmente zusammenzufügen, doch es ergibt ein seltsames Mosaik. Die Steine passen nicht zueinander. Egal wie sehr ich es versuche, nichts passt zusammen.
    Die Luft, die ich atme, riecht modrig und verbraucht. Zarte Sonnenstrahlen fallen durch eine kleine Luke und unzählige Staubpartikel tanzen in ihrem Licht.
    Draußen das Lachen von Kindern. Ich schließe die Augen. Dankbar stelle ich mich in den Lichtkegel und blinzle gedankenverloren in dieses Stück Leben, das mir noch bleibt.

    Ich weiß nicht, wie lange ich mein Dasein noch in dieser erdrückenden Gefangenschaft fristen muss, betrachte meine Unwissenheit aber auch gleichermaßen als einen Segen, denn falls ich wüsste, dass ich lebenslang bekommen habe, hätte ich mich längst erhängt.

    So kann ich wenigstens warten und hoffen. Die Hoffnung ist das einzige hier, das mich weiter atmen lässt.
    Ich spüre die warmen Lichtreflexe auf meiner blaßen Haut, die das kleine bisschen Sonne aus der Luke auf mir zeichnet. Ich atme tief durch, schlucke die Tränen hinunter und den dicken Kloß in meinem Hals, der immer mehr anschwillt. Gott, wie sehr ich das Leben vermisse! Ich kann es kaum mehr ertragen, so sehr fehlt es mir.

    Mein einziger, sehnlichster Wunsch ist es, dass ich noch ein letztes Mal das farbige, helle, pulsierende Leben erfahren darf, bevor ich sterbe, möchte zufrieden die Gewissheit in mein Grabe nehmen, einmal wirklich gelebt zu haben.

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