Kokainentzug im Alleingang?

  • Guten Morgen,

    ich habe vor ein paar Wochen erfahren dass mein Mann kokst. Es handelt sich um ca 3 Jahre, in denen er nach eigenen Angaben 3g pro Woche konsumierte. Einige Freunde und Arbeitskollegen wussten bescheid, sie versuchten oft mit ihm zu reden oder ihn unter Druck zu setzen, sie ernteten nur Lügen und Ausflüchte. Erst als mir die Augen geöffnet wurden und ich ihn mit einem positiven Substanztest konfrontierte war er geständig. Zunächst bagatellisierte er die Sache und log weiter um sein Gesicht zu wahren. Doch er stoppte den Konsum nach zwei Tagen, suchte das offene Gespräch mit Freunden und Kollegen und entschuldigte sich.

    Er freut sich sehr über sein neues Lebensgefühl, geht wieder seinen Hobbys nach, kümmert sich um die Familie (wir haben drei Kinder) und ist einfach wieder 'da'. Er sagt dass er weder Entzug noch Craving verspüre, es sei schrecklich gewesen und er sei froh dass es nun vorbei ist.

    Nun meine Frage: Ist es möglich, dieses Teufelszeug von heute auf morgen aus seinem Hirn zu bekommen? Ohne Therapie, ohne Ersatz (THC und Alkohol konsumiert er schon länger täglich, allerdings in erträglichen Maßen), ohne sich weiter damit auseinanderzusetzen?

    Eigentlich müsste ich mich freuen und glücklich sein, doch ich habe fast das Gefühl als würde ich jetzt seinen Entzug durchmachen. Depressive Tage, Wut, Verzweiflung, Traurigkeit darüber wie wir die letzten Jahre gelebt haben. Ich habe versucht, mit Kälte, Spannung, Aggressivität, Gesprächsverweigerung, überzogenen Forderungen, Grosskotzigkeit und Vulgärsprache zurechtzukommen, habe vieles auf mich bezogen und war auf dem Holzweg. Wir hatten massive Geldprobleme, wir mussten die Kredite für seine Selbstständigkeit umfinanzieren. Ich habe gerechnet, organisiert, gespart solange er jeden Monat 1000Euro auf die Seite brachte, kein Interesse an finanzieller Planung zeigte und mir ein schlechtes Gewissen machte, er würde sich durch das Geldgerede als Versager fühlen.

    Der Süchtige ist clean, damit ist alles wieder in Ordnung, so enden die meisten Suchtgeschichten. Aber wie kann ich einen Menschen schätzen und begehren, so wie er es braucht und wünscht, der mich so hintergangen hat? Das tiefe Vertrauen und die Geborgenheit in der Partnerschaft sind gestört. Ich weiss nicht wie ich damit umgehen kann.

    Hat jemand ähnliches erfahren, gefühlt oder eine Einschätzung für meine Geschichte?

  • Hallo,

    wenn jemand drei Jahre lang konsumiert wird’s schwierig, von heute auf morgen ohne Hilfe aus der Sucht zu kommen. Ich kenne diese extremen Motivationsschübe („Diesmal schaff ich es, das spüre ich“), die natürlich genau bis zum nächsten Konsum nach ein paar Tagen aktuell bleiben.

    Drogenberatung, Selbsthilfegruppen, Psychotherapie werden ihm sicher gut tun. Dir könnte Psychotherapie auch helfen - oder eine Paartherapie zusammen. Da kommt es natürlich drauf an, wie offen er dafür ist. Allerdings kannst du ihm auch das Messer auf die Brust setzen, einfach weil du, die Kinder und euer ganzes Leben so gelitten habt, dass er jetzt am Zug ist. Kokain verändert das Wesen, allein wird’s schwierig das zu schaffen.

    Ich wünsche euch alles Gute!

  • Servus Verve,

    Ich kann mir nicht vorstellen, dass man Kokain von heute auf morgen aus dem Kopf bekommt.

    Körperlich ist es aber möglich das kaum Entzugserscheinungen auftreten, darin besteht die Besonderheit solcher Drogen wie Kokain und Ähnliches.

    Ein Ersatzstoff ist bei diesem Suchtstoff meist nicht gegeben.

    Das fatale bei einer Kokainsucht ist eben die psychische Abhängigkeit, daher ist es oftmals schwieriger, als wenn sich Entzugserscheinungen auch körperlich bemerkbar machen.

    Ich für meinen Teil halte es diese Art von Drogen für absolut gefährlich und würde mich mit solch einer Aussage „ich höre auf und alles ist gut“ nicht zufrieden geben.

    Zudem halte ich auch den von dir genannten Cannabis und Alkoholkonsum nicht für unwichtig. Für einen Süchtigen ist schnell der Weg zu einer Sucht Verlagerung gegangen.

    Was bedeutet erträglich?

    Wenn ein Süchtiger clean ist, ist der erste Schritt getan, Clean ist man wenn der Suchtstoff entzogen ist.

    Um dauerhaft clean zu sein, ist aber eine ausgiebige Entwöhnung erforderlich, ob die jemand alleine durchstehen kann ist natürlich möglich, aber meist nicht unbedingt erfolgreich.

    Eine Suchgeschichte endet also nicht mit Entzug und Entwöhnung, mir hat ein früherer Suchberater zehn Jahre auferlegt, dann dürfe ich mich als clean bezeichnen. Ich würde sagen, man sollte mindestens solange sauber sein, wie man zuvor konsumiert hat.

    Es geht hier um zwei verschiedene Dinge, zum einen wie du mit dieser Tatsache umgehen kannst, zum anderen inwieweit ein Mann seine Probleme in den Griff bekommt.

    Sinnigerweise wäre es, wenn er dir durch eine therapeutische Maßnahme zeigt, wie ernst es in ist und er alles dafür unternimmt um sein Suchproblem zu lösen.

    Wenn er aber dazu nicht bereit ist, wüsste ich nicht wie du diese Sache verarbeiten könntest. Oder erwartet ihr von dir gleiches, von heut auf morgen?

    Wie HelgaHornbrille schreibt, rate ich auch zu einer Beratung für dich als Angehörige. Ob eine therapeutische Unterstützung notwendig ist, wird sich dann zeigen.

    Eine Paartherapie halte ich im Moment für weniger gut, ich denke diese Therapieform wird erst etwas bringen, wenn dein Mann sein Suchproblem zumindest weitgehend angegangen ist.

    Es ist toll wenn Paare in solchen Situationen zusammenhalten, aber wichtig ist dabei, dass du dich selbst schützt. Alles was mit der Sucht zusammenhängt, kannst du letztenendes nicht beeinflussen, es ist nicht dein Problem!

    Ein weiterer Punkt ist, dass du für dich herausfinden musst, unter welchen Voraussetzungen eure Ehe weiterbestehen kann. Es kann ja nicht angehen, dass du die nächsten Jahre immer wieder mit Rückfällen deines Mannes konfrontiert wirst. Daher ist es wichtig, deine Grenzen zu finden und klar zum Ausdruck zu bringen - nur so kann ein Süchtiger auch erkennen, dass nun endgültig ein Endes der Sucht angesagt ist.

  • Ich danke Euch für Eure sortierten, klaren Antworten! Eure Sichtweisen sind mir eine wichtige Hilfe!

    Ich selbst war schon bei der Drogenberatung. Dort wurde mir gesagt, dass er in dem Moment, in dem er selbst für sich keine Therapie- oder Hilfebedürftigkeit verspürt, auch einer Therapie nicht zugänglich sein wird. Er würde auch dort sagen, es sei alles wieder gut und er würde es nie wieder tun. Er wäre bereit, eine Therapie zu machen wenn es mein Wunsch ist, doch ist das sinnvoll? Ich erwarte Eigeninitiative und Selbstverantwortung, ich habe (zu?) viel für ihn und uns gerichtet, ich finde nun und speziell bei seinem Thema ist er mal dran!?

    Wir machen alle paar Tage einen Urintest, er wirkt überzeugend in seinem Abstinenzwillen. Es sei ihm in der Rückschau klar, dass das alles grosser Mist gewesen sei, er habe keinerlei Verlangen das zu wiederholen. Ihm ist bewusst dass ein Rückfall für mich indiskutabel wäre, Gespräche über Trennung hatten wir die letzten Jahre immer wieder.

    Eure Worte hören sich allerdings für mich so an als müsse ich mich innerlich auf Rückfälle vorbereiten?? So wie ich vorher weggeschaut habe, nicht mitbekommen habe was hier eigentlich läuft, darf ich mich der romantischen Illusion von "alles ist wieder gut" nicht naiv hingeben?

    Wenn ich die anderen Geschichten hier lese denke ich, dass es so schlimm nicht gewesen sein kann, wenn er sich so leicht von seinem Suchtverhalten lösen kann? Viele Kokaingeschichten enden mit einem Kontaktabbruch des Süchtigen.

    Erträglicher Konsum bedeutet für mich, dass eine normale Kommunikation und Verhaltensweise möglich ist. Konkret 2-3 Bier am Tag, wieviel in der Tüte am Abend ist weiss ich nicht.

    Ja, in gewisser Weise fordert er von mir, dass ich positiv und mit Freude nach vorne schaue und die negativen Gefühle ablege. Er braucht Aufmerksamkeit und das Gefühl geliebt und begehrt zu werden, was mir wiederum gerade schwerfällt. HelgaHornbrille schreibt, Kokain verändere das Wesen, gilt das auch für die sauberen Phasen bzw. die Zeit nach der Sucht? Bleibt etwas übrig?

  • Kokain verändert dauerhaft die Hirnrinde, also spurlos gehts nicht am Konsumenten vorbei.

    Du musst dich unbedingt mit dem Gedanken auseinandersetzen, dass es zu Rückfällen kommen wird, denn dazu wird es kommen, auch wenn der Wille noch so groß ist. Kokain ist keine Spaßdroge, es macht hochgradig psychisch abhängig und da ist es halt mit „ich hör heute einfach auf und mein Leben läuft weiter wie vorher“ nicht getan.

  • Bin neu hier und über die Suchfunktion in diesem Chat gelandet. Ich habe die letzten Jahre auch bis zu 4 g Kokain in der Woche konsumiert. Die letzte Zeit habe ich mich seelisch schlecht dabei gefühlt. Meine Frau hat nichts gemerkt, aber irgendwann ist das vielleicht auch eine Frage der Zeit. Mit meinem schlechten Gefühl habe ich beschlossen, aufzuhören. Ich habe die Nummer von meinem Dealer gelöscht und einfach das Ganze beendet. Sämtliche Informationen aus dem Internet sprechen eigentlich dagegen. Ich habe mich auf alles konzentriert, was ich gerne mache und was ich liebe. So habe ich von Tag zu Tag gemerkt, wie wieder mehr Erfolg und Sinn in mein

    Leben kam. Werde von Tag zu Tag glücklicher, weil ich wieder schöne Sachen mache gleichzeitig merke, dass ich nicht mehr auf die Droge stehe. Ich mag eine Ausnahme sein, habe viele Tage bestimmt geglaubt, dass so etwas nicht klappt. Immer wieder das Zeug gekauft. Aber seit vier Wochen läuft es gut. Vielleicht geht das bei deinem Mann auch so. Ich drücke dir die Daumen. Ich kann nur sagen, dass ein Leben ohne Drogen viel schöner ist, lange habe ich an das gedacht

  • Hi Hardenberg,

    danke für deinen Kommentar zu meinem Thema.

    Herzlichen Glückwunsch zur Bewusstwerdung deiner Sucht! Das ist ein Riesenschritt! Und Respekt, dass du ganz führ dich einen Punkt gefunden hast, den Konsum zu stoppen! Wow! Und das Leben, die eigene Freude wieder zu spüren ist sicher wunderbar.

    Mein Mann hat drei Monate durchgehalten, in denen der Alkohol- und THC-Konsum deutlich gestiegen sind und wir deshalb in Streit geraten sind. Vor kurzem hatte er einen Rückfall, den er aber leugnet.

    Leider gehört zu dieser Erkrankung Verleugnung sich selbst und anderen gegenüber, Kontrollverlust, Schuldzuweisungen an andere und Substanzwechsel dazu. Das heisst, dass du dir viele Sicherheitsmassnahmen schaffen musst, um dich vor dir selbst zu schützen!!! Ich würde dir raten, es nicht im Alleingang zu versuchen, zu gross ist die Rückfallgefahr und damit die Enttäuschung, Schuld- und Schamgefühle die den weiteren Prozess noch schwieriger machen. Ich würde dir auch raten mit deiner Frau zu sprechen, dich ihr mit allem und wirklich zu öffnen. Aus meiner Sicht ist das der Sinn einer Partnerschaft, alles andere kann man sein lassen und führt nur zu weiteren Verletzungen. Ich bin mir sicher dass deine Frau sich nicht aufgehoben fühlt in der Partnerschaft. Sie wird wissen dass etwas nicht stimmt, nur nicht was. Sie wird bei sich selbst suchen oder Ihr lebt ‚funktionierend‘ nebeneinander her?

    Ich wünsche dir, egal für welchen Weg du dich entscheidest, sehr viel Kraft und Mut für die Wahrheit!!! Vielleicht willst du mal erzählen wie es weitergeht?

    Liebe Grüsse,

    Verve

  • Ich habe das gleiche erlebt vor 3 Wochen und ich bin am Boden zerstört...

    Wie geht es Dir jetzt?


    Hallo Verve...Januar 2023 .. habt ihr das geschafft??? Bin leider am Anfang von Ende ...es ist verdammt schwer zwei Kinder, normale leben..gehabt und jetzt kokain und Schulden

    Einmal editiert, zuletzt von Franz (15. Februar 2023 um 11:06) aus folgendem Grund: Ein Beitrag von Nikola mit diesem Beitrag zusammengefügt.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!