Ihr Lieben,
es ist sehr früh morgens und ich schreibe in dieses Forum nach einer weiteren üblen Nacht. Vor ziemlich genau vier Wochen hatte ich mein erstes Wochenende ohne Shit und habe hier in diesem Forum viel gelesen, was mir geholfen hat, mich mit meinen ersten Entzugserscheinungen nicht alleine zu fühlen.
Meine Geschichte ist eine von fast 15 Jahren täglichem Konsum. Es gab auch andere Drogen in all der Zeit, aber mit diesen habe ich schon vor einer Weile 'schluss' gemacht und alles kam immer ganz natürlich. Fast als hätte sich die Substanz von selbst verabschiedet: "Dankeschön, tschüss, du brauchst mich nicht mehr, das schaffst du jetzt alleine." Nur das Gras, das blieb bei mir, ein liebgewonnener Teil meiner Persönlichkeit. Viel Widerstand, es gehen zu lassen.
Ich habe mit viel Anlauf, aber mit einem Ruck aufgehört. Es war gar nicht so geplant. Zielvereinbarung mit meiner Therapeutin war, es nur einen Tag zu versuchen ("Und wenn Sie es nicht schaffen, dann schauen wir uns an, weshalb.").
Aber ich bin ich und muss direkt das Ding durchziehen. Es hat so lange gebraucht, den Mut für den einen ersten Tag zu finden.... das Gefühl ist und war eines von "jetzt oder nie".
Der erste körperliche Entzug war heftig. Mit Appetit und Schlaf auf Physiologischer Ebene kämpfe ich auch jetzt, mehrere Wochen danach noch. Im Umkehrschluss bin ich dünnhäutig und reizbar - so wie jede Person, die nicht ordentlich schläft und isst. Wie man eine Persönlichkeit, die zu so großem Teil aus 'kiffen' bestand, auseinandernehmen und wieder neu zusammenbauen muss, ist ein beeindruckender Prozess. Ich vermeide auch alles andere, was mich 'betäuben' würde (also verzichte ich ebenfalls auf Social Media & Alkohol).
Was mir aber am meisten zu schaffen macht ist das, was ich all die Jahre hinter der Wand aus weißem Rauch versteckt habe. Ich bin so schockiert, so traurig, so wütend und verletzt. Ich hatte mich an viele Dinge ernsthaft nicht erinnert, sie nicht im Kontext gesehen, sie mir schöngeredet oder von vorn herein nur high erlebt sodass alles gedömpft war.
Ich sehe total die Funktion, die der Konsum in meinem Leben hatte. Das war zu viel für eine Kinderseele, die Jugendliche hat sich dann ihren sehr jugendlichen Weg zum Überleben gesucht und hat halt dummerweise nicht im frühen erwachsenen-alter den Absprung geschafft.
So gesehen bin ich glücklich, geradezu noch mal mit einem blauen Auge davon gekommen, auch uns insbesondere angesichts dessen was ich über das Leben sonst noch so an Substanzen missbraucht hatte. Nichts hat sich so fest gesetzt wie Weed.
Ich fühle mich als müsste ich rechtfertigen, dass ich hier gerade schreibe. Was ich eigentlich tue, ist mir das craving aus den Fingern fließen zu lassen. Ich glaube ich bin auf der Suche nach etwas zuspruch und Mut. Ich bin so unendlich müde derzeit. Vielleicht auch zu ungeduldig mit dem Prozess, es sind ja erst ein paar Wochen. Und der reale emotionale Stress - also den, den auch alle empfinden, die gerade nicht entziehen - ist bedingt durch meine Arbeit (Arbeite Psychosozial mit Geflüchteten seit 6 Jahren, d.h. alter Shit kommt bei den bereits hier länger Lebenden hoch und die neuen bringen viel frisches Leid und Trauma mit) noch mal extra dicke.
Ich weiß nicht ob es vielen so geht wie mir... ich nehme an den Meisten (abgesehen von der Arbeitssituation)?
Was hat euch in den Momenten geholfen wo ihr *müde* wart davon euch ehrlich im Spiegel zu betrachten?
Ich bin besorgt, dass es mich hier grade über die Grenze zu einer depressiven Episode drückt. Insbesondere wenn dieses Morgentief und Früherwachen mit der Appetitlosigkeit zusammen kommt, frage ich mich, ob ich mich hier grade übernehme....
Danke, dass ich hier schreiben kann und danke fürs Lesen. Habt ein sonniges Wochenende.
(Edit: Ich danke euch im Vorfeld bereits für den Tipp, mein Leben anderweitig und sinnvoll zu füllen. Sport, Freundschaft, Schreiben, das Organisieren von Events, etc. es ist alles vorhanden. Nur fehlt es derzeit am Antrieb, weil ich mich wie eine einzige große Trauma-Kartoffel fühle und das ist ermüdent)