Nun komme ich zum Ereignis 2, was mir wirklich in der Seele sitzt:
Meine Frau und ich fahren gemeinsam zur Arbeit. Dafür laufen wir von zuhause raus Richtung Bahnhof und steigen dort in den Zug. Manchmal in Eile.
Auf dem Weg liegt eine Hauptstraße, die wir überqueren müssen über eine Ampel. Diese Ampel wird oft von Linienbussen gekreuzt, während die Ampel für Fußgänger grün ist. Das ist allen Zugpendlern so bekannt. Wir vertrauen darauf dass die kreuzenden Autos und Busse an der gestrichelten Linie warten.
Nicht aber an diesem Morgen. Wir hatten grün und ein Bus kam. Wir dachten uns nicht und sind weiter gelaufen.
Der Bus kam immer näher und näher und ich dachte mir “Okay, ich hoffe der kann noch anhalten”. So war es aber nicht. In letzter Sekunde konnte ich noch ein Schritt zurück machen und meine Frau auch noch halten. Und ich wurde wütend. Ich schrie den Busfahrer an ob er noch ganz dicht ist! Ob er uns umbringen will! Ob er die Ampel nicht sieht! Ich wies ihn darauf hin, dass unsere Ampel grün zeigt. Was ich nicht wusste: Die Ampel, die er sah zeigte Rot. Der Busfahrer ging also davon aus, dass wir alle stehen bleiben. Und so konnte ich es für einen Bruchteil der Sekunde verstehen. Ich hätte die Situation eigentlich de-eskalieren können, wenn ich sagen würde “Okay, die Ampelanlage funktioniert wohl nicht richtig.” So kams aber nicht. Unterbewusst entschied ich mich den Busfahrer zur Rede zu stellen. Selbst wenn die Fußgänger Ampelanlage aus seiner Sicht Rot zeigte, war es kein Grund so weit heran zu fahren, dass er mich am Arm berühren musste. Er ist per Gesetz dazu verpflichtet voraus zu schauen. Ich als Fußgänger habe das Recht darauf zu vertrauen, dass Grün einfach Grün ist. (Ob das jetzt rechtlich so passt, sei erstmal dahin gestellt.). Nun habe ich etwas getan, was ich nie zuvor getan habe - bei keinem Wutausbruch. Ich habe gegen die Fensterscheibe des Busfahrers gehauen - zwar nicht stark. Aber die Geste war nunmal die selbe. Und ich dachte mir “Verdammt, was habe ich da gerade getan?” Und bevor ich den Gedanken ausleben konnte rief meine Frau “WAS HAST DU GETAN?”. Der Busfahrer machte das Fenster auf und sagte “BIST DU NOCH GANZ DICHT??”
Nun konnte ich mich entscheiden mich zu entschuldigen. Aber er war es, der uns fast überfahren hat. Er sollte das verstehen und einsehen. Und ich rief nochmal “WILLST DU UNS UMBRINGEN!! WO SIND IHRE AUGEN!”... Der Bus ist weggefahren. Mein Blut kochte. Mein Herz raste. Mir war übel. Und ich war sauer auf mich selbst.
Warum habe ich gegen die Fensterscheibe gehauen?” Was passiert als nächstes? Schlag ich Menschen später aus Wut noch ins Gesicht??? Werde ich auch aggressiv gegenüber meiner Frau? Wo soll das enden?
...Ich habe mich nach diesem Ereignis selbst nicht wiedererkannt und ich habe echt Sorgen für die Zukunft. Bisher war das nur eine laute Stimme die meine Wut in die Außenwelt getragen hat. Aber nun wurde ich handgreiflich. Sowas darf niemals passieren.
Meine Frau sagt zu mir, dass sich das in letzter Zeit gehäuft hat. Und ich denke nach. Was habe ich all die Jahre mit meiner Wut getan? Hab ich sie in mich hineingefressen? Habe ich nicht das nötige Ventil geschaffen um den Druck abzulassen? Brennt die Kohle in mir so sehr, dass kleine Ölspritzer direkt eine Flamme entfachen?
Ich habe eingesehen, dass ich Hilfe brauche. Ich möchte ein Ventil schaffen, dass meine Wut auch wirklich ablassen kann, anstatt es in mich zu vergraben.
Mein Problem ist nur, dass ich böse dargestellt werde. Der Wütende ist der Böse und damit der Unrechte. Es ist kein Recht des Wütenden nach HIlfe zu verlangen. Er ist der Täter und diejenigen, die seine Wut spüren, sind die Opfer. So erlebe ich derzeit mein Umfeld. Meine Eltern haben inzwischen gelernt, damit umzugehen. Sie kennen mich ja inzwischen auch seit 30 Jahren. In meinen Wutsituationen, versuchen sie den Ruhepol darzustellen und mich nicht zu provozieren. Sie geben mir die 1-2 Minuten, die ich brauche, damit ich selbst verstehe was ich da gerade eigentlich mache.
Mein Bruder greift aktiv in mich ein, indem er mich packt und weg zerrt. Er spricht beim weglaufen tröstende Worte “Es ist alles gut. Ruhig… ruhig… ich bin da...” Ich breche dann in Tränen aus. Gegenüber meinem Bruder ist das okay, denn er ist mein bester Freund. Aber das Feuer der Wut ist somit erstmal gezügelt und ich kann mich ausdrücken.
Meine Frau weiß mit mir nicht umzugehen. Ich hab ihr versucht das zu erklären, aber sie kann auch stur sein. Sie sieht nicht ein, dass ich das nicht absichtlich mache. In meinen Wutsituationen beschuldigt sie mich, dass das nicht nötig ist. Dass ICH es bin, der böse ist. Sie blendet die Gründe meiner Ausbrüche aus. Das ich damit auf Unverständnis stoße, von meiner Ehefrau, mti der ich mein Leben teile zerreißt mich dann. Und macht mich sauer.
Ich will ihr auch nichts vorwerfen. Sie macht das vielleicht aus Angst. Jedenfalls ist sie keine Hilfe dabei meine Wut zu dämmen. Sie entfacht es nur weiter. An dem besagten “Busfahrer”-Ereignis hat sie mich im Zug danach so wütend gemacht, dass ich aufgestanden bin und mich woanders hingesetzt habe. Das war eine sehr unschöne Geste, Aber ich hatte Zeit mich abzureagieren. Ich bin wahnsinnig unter Druck in solchen Situationen.
Ich brauche Hilfe, Bücher, Videos, vielleicht Gespräche. Ich will die Wut in mir nicht vergraben, sondern ausleben in kontrollierter Form.
Meine Wut beinhaltet sehr viel Energie, die ich nutzen könnte. Sie macht mich ehrgeizig in meinem Beruf. Sie hilft mir dabei meine Familie gegenüber Unrecht zu beschützen, indem ich mich für sie einsetze. Sie hilft mir dabei Hemmschwellen zu überwinden.
Es ist für mich eine wertvolle Emotion. Meine Wut gehört zu mir. Ich möchte lernen sie zu kontrollieren.