Hallo Thymia,
vielen Dank für deine Worte. Letztes Jahr um diese Zeit war ich bereits wieder im Konsum. Aber bis März 2023 konnte ich immerhin 19 Monate totale Abstinenz vorweisen. Nun befinde ich mich irgendwie wieder ganz am Anfang der Entwöhnung. Da ich ja wieder konsumierte, brauchte ich meine Medikamente ja nicht mehr. Seit gestern nehme ich wieder Venlafaxin und Bupropion zur Behandlung meiner Depressionen. Nebenwirkungen waren sogar direkt heute Morgen schon zu spüren, ich bin schwitzend aufgewacht. Der gestrige Tag war ne komplette Katastrophe. Da ich nicht ins Büro fahren musste, sondern aus dem Homeoffice heraus arbeiten konnte, habe ich mich komplett gehen lassen. Den ganzen Tag hebe ich völlig antriebslos auf dem Sofa verbracht. Nicht einmal als meine 18jährige Tochter nach Hause kam, habe ich ich mich aufgerafft. Den ganzen Tag so gut wie gar nichts gegessen und getrunken, bis dann abends meine Frau nach Hause kam und entsprechend enttäuscht war. Wir haben uns dann darauf verständigt, dass ich die Medikamente in der Dosis wie zuletzt in meiner abstinenten Phase wieder einnehmen werde. Ich hoffe sehr, dass sich an meiner Perspektivlosigkeit und Antriebslosigkeit bald etwas ändern wird. Mir ist aber gleichzeitig auch klar, dass die Tabletten es nicht von allein bewirken können. Es muss auch Wille und Antrieb meinerseits vorhanden sein. Und das ist die Krux an der ganzen Sache. Ich habe den Konsum doch nur eingestellt, weil ich weiß, dass ich abhängig bin. Mir ist klar, dass ich süchtig bin. Vor meiner letzten Abstinenz bin ich sogar teilweise um 5 Uhr morgens aufgestanden, um mir in der Garage einen Joint zu bauen und ihn natürlich auch direkt zu rauchen. Dann entweder nochmal bis halb sechs ins Bett zu meiner Frau, um dann so zu tun, als ob man gerade gemeinsam aufwache oder von vorneherein aufgeblieben und schon mal Kaffee für meine Frau und mich gemacht. Immer wieder erkenne ich, wie stark der Konsum in meinen Alltag eingebettet war/ist und dass ich mich da von anderen Kiffern enorm unterscheide.
Es ist total unbefriedigend nicht zu konsumieren, es aber gleichzeitig gerne tun zu wollen. Jeden Abend lege ich in mein Bett und mich tröstet der Gedanke, dass ich den Konsum ja wieder aufnehmen könnte. Nur deshalb kann ich einschlafen, mit dieser "Rettung" in Aussicht. In den neunzehn abstinenten Monate war rückblickend auch kein einziger Tag schön. Das redet mir natürlich nur mein Suchthirn ein. Ich denke ja sogar, während ich diese Zeilen hier tippe, dass ich eigentlich lieber ein Leben als Konsument führen möchte. Dann verspüre ich Lebensfreude, bin unternehmungslustig, kann lachen und Spaß haben, habe einen guten Appetit, keine Beeinträchtigung der Libido, Freude daran meine Musik zu hören, und und, und! Außerdem bin ich dann nicht depressiv, nur am Grübeln, finster, pessimistisch, schlecht gelaunt und von allem genervt.
Allerdings hält auch die Konsumphase nur begrenzt meine Leiden in Schach. Okay, jetzt hat meine Frau durchs Ertappen das abrupte Ende eingeleitet und ich habe aufgehört zu konsumieren. Aber die vergangenen Abstinenzen habe ich immer selber herbeigeführt, bzw. mir gewünscht. Irgendwann kotzt es einen nur noch an.
Was eigentlich immer gegenwärtig ist, ob Konsum oder Abstinenz: Die Unfähigkeit das eigene Leben zu gestalten, das eigene Schicksal in die Hand zu nehmen. Ich habe keine Interessen, keine Hobbys und keine Leidenschaften. Meine Aufgaben und Verpflichtungen nehme ich immer nur halbherzig wahr. Manchmal wundere ich mich, wie ich überhaupt soweit gekommen bin. Mein Leben habe ich hier ja schon mal umrissen: 48 Jahre alt, verheiratet, zwei Töchter (22 Jahre und 18 Jahre), tolle Ehefrau (44 Jahre alt), keine finanziellen Sorgen, Eigenheim, gut bezahlter und krisensicherer Job im Öffentlichen Dienst, überwiegend gesund mit Ausnahme der defekten Bandscheibe und damit verbundenen ständigem Schmerz. Aber da geht es anderen deutlich schlechter. Ich war in meinem Leben eigentlich schon immer ein Jammerer und unselbständiger Mensch. Ständig wurde einem alles abgenommen, man musste kaum seine Komfortzone verlassen. Wenn ich hier schon mal geschrieben habe oder auch von mir denke, ich sei ein hochfunktionaler Kiffer muss ich mir ehrlich eingestehen, dass es so nicht ganz stimmt. Ich vernachlässige dann auch meine Aufgaben, bin manchmal zu spät, lüge um Dinge zu vertuschen oder um die Konsequenzen zu vermeiden. Eine langfristige zufriedene Abstinenz kann also nur gelingen, wenn ich meinen Frieden damit schließen kann. Es ist ja nicht verwunderlich, dass auch nach neunzehn Monaten noch ein Rückfall erfolgt ist. Solange ich nur aus Trotz und nicht aus tiefster Überzeugung abstinent lebe, werden meine Versuche immer wieder scheitern. Es ist ja so, dass bislang keine Zufriedenheit erreicht werden konnte. Ich bin mit knapp 17 Jahren in diese Blase eingetaucht, habe mich immer von ihr tragen lassen. Also, immer den Weg des geringsten Widerstands gewählt, meinen Lebensalltag nur nach dem Konsum ausgerichtet. Eigentlich fehlen mir so gut dreißig Jahre meines Lebens. Ich soll jetzt Verantwortung für mich und mein Leben übernehmen, weiß aber nicht, wie das gehen soll. Kann nicht auch das jemand anderes für mich übernehmen!?
Ich könnte noch so lange weiterschreiben, habe aber jetzt keine Lust mehr.
Desillusionierte Grüße
Bud