Macht/Mißbrauch in den sozialen Netzwerken - "Kony2012"

  • Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich fand das von Anfang an irgendwie sehr reißerisch!
    Da macht sich so ne Tendenz breit, die SEHR sehr vereinfachend und sehr BILD-haft ist...

    Virales Video "Kony 2012": Das Internet jagt einen Massenmörder - Politik | STERN.DE

    Ich will um Gottes Willen nicht verharmlosen, aber mir macht das BILD Zeitungsniveau Sorgen.
    Wenn ich mir all diese blutigen Videos anschaue, die von Menschen, Tieren etc handeln und bestimmt in gut gemeintem Sinn gepostet werden, so gebe ich doch zu bedenken:

    Schwarz/weißMalerei ist gefährlich & EIGENTLICH ja ein Mittel, derer, gegen die es gehen sollte.
    :ce: Ist es nicht paradox, hier vorm Compu zu sitzen & sich über Mißstände von grausam gehaltenen Hunden aufzuregen & dann Billigfleisch aus Massentierhaltung zu futtern?
    :ce: Ist es nicht fatal, mich an GreuelVideos aufzugeilen (sry, aber mir erscheint das so), über Dinge, die weit weg geschehen - während hier bei uns Kinder hungrig ins Bett geschickt werden müssen; Nazis munter Propaganda machen, Politiker lügen & betrügen und und und
    :ce: Fallen wir mit solchen Aktionen nicht auf ne gut gemachte Ventilfunktion herein,
    die meisterhaft inszeniert als "freie Meinungsäußerung" läuft???

    Fragen über Fragen!

  • Jups... ratlos zustimm. Ich empfind das alles aber als Scheinwelt. Eine Matrix und ich fühl mich immer ein bißchen auch verar..., wenn ich mich mit sowas beschäftige. Frag mich dann immer, "muss ich mich damit beschäftigen? Ist doch nur Kulisse"... Denk dann aber wiederum auch "Kulisse hin, her, wir leben ja drin"...
    :ce:...

  • Ich seh das auch irgendwie sehr zwiespältig. IC hat mit dem Video eine große Energie freigesetzt und der kurze Film hat mehr Aufmerksamkeit für die Verbrechen Konys erzeugt, als alle Jahresprotokolle von Hilfsorganisationen zusammen. Aber Masse finde ich immer auch sehr gefährlich. Sie verleitet dazu, sich von Bildern und sozialem Zusammenhalt verführen zu lassen.
    IC könnte jetzt die entstandene Energie und Aufmerksamkeit nutzen, um damit nachhaltige Aktionen zu initiieren.

    Ein Umschlag mit Poster und Armband, bringt wohl keinen Massenmörder zur Strecke. Gut finde ich, das es schnell einige kritische Stimmen auch gibt, zb. auch dieser Artikel hier wirft ein etwas anderes Licht auf die Aktion.
    Virale Kampagne: Kony 2012 jagt den Falschen | Politik | ZEIT ONLINE

    Und am 20. April soll ja der "große" Tag werden, wo die Leute die ganze Welt mit Kony-2012-Postern zutapezieren wollen.
    Mich würde ja am Rand auch interessieren, ob der 20.4. mit Bedacht oder zufällig ausgewählt wurde. Da hat ja jemand 'Prominentes' Geburtstag.

  • Das Internet jagt einen Mörder. Ja das ist auch eine Seite wie man es betrachten kann. Zugegeben, das Video ist top vermarktet worden. Die Marketing-Strategie die dahinter steckt ist ja sensationell. Das es bei unserer heutigen Welt, solche Wege braucht um Bewusstsein zu schaffen ist erbärmlich, aber nicht zwangsläufig das was mich stört. Zu der Aktion von IC gibt es aber ein paar Dinge zu sagen.

    1) Bewusstsein schaffen, ja schön und gut, wenn dieses aber einseitig von statten geht, dann sehe ich das sehr kritisch. Die Komplexität der Probleme und das Phänomen der LRA ist keines, dass sich in 25 Minuten erklären lässt. Hier wird ein Bewusstsein geschaffen und zwar ein Temporäres. In 1 Monat ist die Sache vergessen, vergessen der Konflikt der sich durch die alleinige Festnahme von Kony niemals ändern wird!

    2) Wie vermessen ist es, wenn ein Journalist (egal welcher Nation, aber das es ein Ami ist, wundert mich nicht im geringsten) einem Überlebenden ein Versprechen gibt, was er mit großer Wahrscheinlichkeit NICHT im Stande zu halten ist. Schön wenn man so unsensibel ist und damit das Leid und die Angst noch potenziert wenn dann wieder die Hoffnung baden geht.

    3) Die Macher der IC wurde mit Automatikwaffen in den Händen neben Kämpfern der Milliz SPLA abgelichtet. Ich habe die Macher daraufhin angeschrieben und sie sehr verärgert gefragt, wie es dazu kommen kann. Die Sudanese People Liberation Army ist mitverantwortlich für den Tod von 300 000 Menschen in Darfur und für die Vertreibung von fast 2 Millionen Menschen, die sich bis heute auf der Flucht befinden. Von Seiten der Macher wurde dieses Photo als vermeintlicher "Bubenfehler" bezeichnet und sollte mehr als Witz dienen. Junge amerikanische Journalisten, die mit Waffen und Mördern posieren, sieht so etwas aus, als würde es ernsthaft gewollte Veränderung bringen?

    4) Ein Teil des Spendengeldes wird augenscheinlich verwendet um Militärinterventionen zu unterstützen. Auch die Regierung hat fürchterliche Verbrechen an der Bevölkerung verbrochen, das wird nicht nur hingenommen sondern gerechtfertigt.

    1000 0000 Menschen lassen sich anstecken, dumme Menschen, die wie die Maden im Speck leben, glauben sie werden zu Menschenrechtsaktivisten wenn sie ein Video teilen. Kony muss zur Verantwortung gezogen werden JA und mit ihm noch viel mehr. 1000 0000 Menschen die bis vor 1 Monat keine Ahnung von den Konflikten in Uganda, Sudan, oder dem Congo hatten. Und tausende Menschen die das in 1 Monat auch nicht mehr interessieren wird. Ich beschäftige mich seit mittlerweile 2003 mit dem Phenomän der LRA und SPLA bezogen auf die Konflikte im Sudan und bis jetzt behaupte ich zu sagen, habe ich annähernd (!!) eine Ahnung um was es geht. Das sind Konflikte die Jahrzehnte dauern und oft schon vor 100 Jahren angefangen haben, als um Land gekämpft wurde.

    Die Macher dieses Videos, vermitteln schwarz weiße Fakten, ein gut und böse. Gut und böse gibt es bei diesen Konflikten schon lange nicht mehr.

    Provokativ gesagt, was wollt ihr euch erwarten? Halbstarke Amis die glauben sie können die Welt verändern und das mit reichlich militärischem Rückhalt.

    Ich sag nur Afghanistan - was für ein Paradebeispiel. Das Paradebeispiel für komplette Destabilisierung eines Landes, das eh schon nicht sehr stabil war. Oder wie war das im Irak? Marschieren wir mal ein, bomben wir alles nieder und töten wir unschuldige Zivilisten, dann ändern wir einen f... Dreck und ziehen wieder ab... Und der Bürgerkrieg bricht erneut aus.

  • Nicht über sowas nachdenken, gane. Das führt zu nichts, außer, wie in meinem Fall, tiefgreifender Melancholie.

    Na klar, die Bild... Opium fürs Volk *hüstel* Ist man ja gewohnt, die vertreten auch überhaupt keinen anderen Anspruch, was ich okay finde. Aber tatsächlich gibt es auch bei Publikationen wie dem Stern & Konsorten zunehmend die Tendenz, sich an deren Manier anzugleichen, bzw. zu orientieren.

    Die Frage nach dem Warum, lässt sich gar nicht mal so einfach beantworten.

    Einerseits ganz klar, weil sich objektive Berichterstattung kaum noch verkaufen lässt, und diese Publikationen nun einmal von ihren Käufern abhängig sind. Der postpostmoderne Konsument möchte nicht mehr nur informiert werden, nein, er möchte "Infotainment", findet schlichte Nachrichten zu langweilig, ist emotional träge geworden, so dass er stetiger aktivierender Impulse von außen bedarf, um überhaupt noch Zugang zur eigentlichen Tragweite einer Informationseinheit zu finden. Im Rahmen des Sensationsjournalismus hat sich die Schwelle der Publikationsfähigkeit von Bildmaterial, im Sinne eines ethisch-moralischen Diskurses, bzw. schlichtweg des guten Geschmacks, beständig in Richtung Verrohung verschoben. Die Bilderflut des kaum kontrollierten Internets hat ihr Übriges getan. Man werfe mal einen Blick in Richtung der auf Privatsendern hoch und runter dudelnden Leichenfledderer-Serien... was da mit geschmackvoller Musik unterlegt im Abendprogramm geschlitzt, gestückelt, gemeuchelt, vergewaltigt, zersägt und was weiß ich nicht alles wird... seinerzeit wäre das wohl als Horrorfilm im Ab-18-Segment der Videothek gelandet. Die in meiner Kinder- und Jugendzeit populären Krimiserien erscheinen im Vergleich dazu wie Kinderquatsch mit Michael.

    Zitat

    Ist es nicht paradox, hier vorm Compu zu sitzen & sich über Mißstände von grausam gehaltenen Hunden aufzuregen & dann Billigfleisch aus Massentierhaltung zu futtern?

    Klar ist das paradox. Trotz meiner vergleichsweise kleinen Kontaktliste bei Facebook erreichen mich am laufenden Band irgendwelche dubiosen "Aktionen", die mich auf irgendeinen Missstand aufmerksam machen wollen. Interessant ist jeweils, dass a) durchgängig keine Lösungen zum Beheben des Missstandes geliefert werden und b) die jeweiligen "Teilenden" oder Kommentierenden keineswegs den Anschein erwecken, real etwas daran ändern zu wollen.
    Alles in allem bleibt für mich tatsächlich nur die Vermutung übrig, dass es reinweg darum geht, sich an dem Umstand an sich aufzugeilen, die leere Hülse des eigenen Seins mit unbestimmten Grausamkeiten zu füttern. Ist ja sonst nichts los. :winking_face:

    OT zum Thema Massentierhaltung:
    Für mich ein heißes Eisen, was meinen moralischen Unterbau arg strapaziert. Ich esse für mein Leben gern andere Tiere, kann und will darauf nicht verzichten. Auch wenn ich genau betrachtet, nur einmal pro Woche welches esse, bin ich doch auf den niedrigen Preis angewiesen, bin gezwungen, die widrigen Haltungsbedingungen auszublenden, um mir diesen Spaß nicht zu verderben.

    Zitat

    Ist es nicht fatal, mich an GreuelVideos aufzugeilen (sry, aber mir erscheint das so), über Dinge, die weit weg geschehen - während hier bei uns Kinder hungrig ins Bett geschickt werden müssen; Nazis munter Propaganda machen, Politiker lügen & betrügen und und und

    Klar ist das fatal, eben weil es darum geht, sich nicht mit den hiesigen Problemfeldern beschäftigen zu müssen, bloß nicht zum Handeln gezwungen zu werden.

    Auf Grausamkeiten und Missstände, die sich am anderen Ende der Welt zutragen habe ich naturgemäß keinen Einfluss, und das letzte bisschen, was ich Kraft einer Verhaltensänderung beeinflussen könnte, kann ich nach Belieben noch von mir weisen und Andere in die vermeintliche Verantwortung ziehen. Bsp. Kinderarbeit in Asien: Eine 5€-Jeans bei K*K gibt's halt nur, wenn fleißige Kinderhände am Werk waren, oder, wenn jemand Anderes am Rande des Existenzminimums sein Dasein fristet. Die Käufer dieser Frevelware sehen die Verantwortlichkeit ganz klar bei den Händlern, Diese wiederum bei den Großhändlern, Die bei den Importeuren, usw.

    Nun ist es ja so, dass man mich in die Verantwortung nehmen könnte, würde ich mich allzu sehr über die hiesigen Missstände beklagen. Hungrige Kinder gibt es hier nicht, nicht in Deutschland... so sagt man... bewusst die Wahrheit verleugnend und ausblendend. Denn es geht ja nicht ums Handeln, sondern nur ums Klagen, ums Anprangern, letztlich um das Vortäuschen ein moralisches Wesen zu sein. Nun, Brecht war ja der Ansicht, dass erst das Fressen und dann die Moral käme... freilich meinte er etwas Anderes als ich, hatte er doch nicht voraussehen können, dass eines Tages der Ein-Meter-LCD-TV zum Fressen zählen könnte. :winking_face:
    Auch lässt sich das generelle Missverhalten der kompletten politischen Führungsriege wunderbar ausblenden, wenn dem Volk von Zeit zu Zeit ein Bauernopfer präsentiert wird. Der Herr Wulff ist da beileibe kein Novum, und zeichnet sich keineswegs hinsichtlich der Schwere seiner Vergehen aus. So man denn wollte, könnte man dieses Spielchen wohl mit der Gesamtheit unserer Minister und Würdenträger durchexerzieren, aber wem wäre damit gedient? :winking_face:

    Beispiel am Rande:
    Vor kurzem ging die Aktion eines Künstlers aufschreiartig durch die Facebook-Gemeinde. Er hatte einen Hund angebunden, und ließ diesen in aller Öffentlichkeit verhungern. Ach, was erbosten sich die Leser, ja, auch die Passanten. "Das ist doch keine Kunst!" "Das arme, arme Tier!" "Das Schwein sollte man lynchen!" Für mich ganz besonders interessant, und hängengeblieben ist nur ein absolut treffender Kommentar:
    Nämlich dass Dies sehr wohl Kunst in Höchstform sei, denn jedem einzelnen Passanten hätte es frei gestanden, das, ach so bedauernswerte, Geschöpf zu füttern. Derweilen habe sich ein jeder am elenden Verrecken aufgegeilt, sich aber dazu verpflichtet gefühlt, den Gutmenschen zu mimen. Tierbefreiungseinbrüche in Laboren, Mastanlagen, Petitionen, Farbbeutel auf Pelzträger werfen... aber dem Hund eine Wurst zuwerfen hat keiner auf die Reihe bekommen. Und DAS, zeige den Menschen an sich, und genau darum ging es der Meinung des Kommentierenden nach, bei dieser Aktion.
    Sehe ich haargenau so!

    Zitat

    Fallen wir mit solchen Aktionen nicht auf ne gut gemachte Ventilfunktion herein,
    die meisterhaft inszeniert als "freie Meinungsäußerung" läuft???

    Aber natürlich, es geht nicht dabei um nicht mehr. Entzöge man der Gesellschaft dieses Ventil, die Inszenierung und Zurschaustellung der eigenen vermeintlichen Moral, müsste das Gros der in reichen Industrieländern lebenden Menschen tagtäglich eine Fratze im Spiegel ertragen, die niemand sehen möchte, unter keinen Umständen sein Eigen nennen will.

    Ein vergleichsweise hoher Lebensstandard, ist letztlich eine Bürde, die nicht leicht zu tragen ist, so man denn ein mitfühlendes Wesen ist. Die Abwehrversuche sind mannigfaltig... der Eine kann nichts ändern, der Andere orientiert sich an der perversen Haltung aus der Zeit des englischen Kolonialismus, wonach die Neger nun einmal einfältige Primitive und zu den notwendigen, großartigen geistigen Leistungen schlichtweg nicht befähigt sei, was man Kraft seiner außerordentlichen Wissenschaft freilich auch definitiv nachweisen konnte.

    Und nach diesem langen Traktat noch kurz zur eigentlichen Kony-Geschichte:
    Einfach lächerlich! Typen seines Kalibers fanden sich in der afrikanischen Geschichte der vergangenen Jahrzehnte en masse. Viele davon leben auch noch und sind auf freiem Fuß. Sich da jetzt "einen X-Beliebigen" herauszupicken, passt mal wieder wie die Faust aufs Auge.
    Stellt sich natürlich auch wieder die Frage, was wir mit unseren eigenen politischen Führern machen? Ob das nun die USA, Russland, Israel, und ja, auch Deutschland ist... bei den unzähligen Bürgerkriegen in ganz Afrika hatte so ziemlich jeder größere Waffenproduzent seine dreckigen Finger im Spiel. Die wirtschaftlichen Interessen waren enorm, und Afrika ein dankbarer Absatzmarkt für Unmengen der überalterten, dafür eben billigen, Waffengenerationen. Was dort unten an M4s, AK47- und auch Unmengen an deutschen G3-Gewehren rumfliegt, spottet jeglicher Beschreibung.

    Man nenne mich blauäugig, aber: Wenn ich einen Krieg forciere und begünstige, um dessen Modalitäten und Grausamkeiten (die Kindersoldaten-Geschichte war durchweg bekannt) ich weiß, ich diesen Krieg mit Waffenlieferungen, Krediten und Know-How unterstütze, weil ich daran verdienen kann, bin ich letztlich haargenau so schuldig an den Auswüchsen.

    Solange sich aber "das Volk" mit der Hetzjagd auf einen x-beliebigen Akteur des blutigen Schauspiels einlullen lässt, gefällig die anderen Teile der Realität auszublenden bereit ist, weil ja jeder auch insgeheim weiß, dass sich nur auf diese Weise ein hoher Lebensstandard finanzieren lässt, kann das große Theater munter weiter gehen.

    Das große und wichtigste Bekenntnis zum Schluss:
    Allem Wissen und allem Rummoralisieren zum Trotz, erwische ich mich mit Regelmäßigkeit dabei, auf die eine oder andere Weise am großen Spiel teilzuhaben... ärgere mich über Spritpreise, gebe meinen Senf zum Fall Wulff und suche krampfhaft nach Wegen der Rechtfertigung für meinen Lebensstandard.
    Warum? Nun, letztlich kann es ja nicht auf ein "Wie kann man denn überhaupt glücklich sein und lachen, wenn tagtäglich tausende Kinder an Hunger sterben??" hinauslaufen.

  • :fr: Danke für die Reaktionen.
    Nee, ich schaue schon, dass mich das nicht runterzieht.
    Die Zeiten sind wohl Gott sei dank vorbei.

    ABER: Manchmal 'kriegt' es einen schon noch & ich finde das auch okay.
    Ist ja auch wichtig, da immer wieder mal Bestandsaufnahme zu machen, finde ich...

    LG.Gane

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