Abstinenz=Glück?

  • Hallo alle zusammen,

    folgenede Problematik:

    Ich lebe seit ca. 2,5 Jahren abstinent, doch irgentwie läuft vieles noch immer nicht wirklich rund.
    Ich habe ca 10 Jahre gesoffen und auch Kokain und Tavor waren ständige Begleiter. Eigentlich habe ich konsumiert was ich in die Hände bekommen habe. Gott sei Dank habe ich dann im Jahre 2016 den Weg in eine tolle Klinik gewagt und dort eine 9wöchige Therapie genossen. Und ich meine wirklich genossen! Ich denke gerne an die Zeit zurück... Naja, entgegen aller Erwartungen bin ich tatsächlich bis heute abstinent geblieben und bin unglaublich dankbar dafür!! Aber irgendwie läuft in meinem Leben immer noch einiges völlig daneben. Immer wieder habe ich depressive Phasen, in denen ich kaum etwas auf die Kette kriege. Ich finde nachts keine Ruhe und liege dann lange wach bzw. schaue Fernsehen. Am nächsten Tag schlafe ich dann dementsprechend lange und der Tag zieht dann an mir vorbei ohne das ich etwas von ihm hatte.

    Ich lebe zurückgezogen und bin viel alleine obwohl ich tolle Freunde etc habe. Ich bekomme zur Zeit ein Medikament namens Amineurin, es soll mir beim Schlafen helfen, doch hilt es mir nur bedingt. Ich habe auch immer wieder Probleme mich zu motivieren endlich eine schöne Arbeit zu finden. Ich schaffe es irgendwie nicht. Als ich 2016 aus der Klinik gekommen bin habe ich relativ schnell wieder Arbeit gefunden, diese aber ein paar Monate später wieder aufgegeben, da ich dem einfach nicht gewachsen war. Dabei sollte mein Leben doch eigentlich richtig geil sein. Ich habe einen ausgewachsenen Entzug durchgestanden, arbeite beständig an mir, bin körperlich gesund, habe eine tolle Familie etc.. Ich besuche zwei mal die Woche meine Selbsthilfegruppen, die eine wichtige Säule meiner Abstinenz meiner geworden sind. Außerdem habe ich vor kurzem noch eine psychosomatische Therapie begonnen von der ich mir viel verspreche.

    Wenn ich bedenke wie es mir vor ein paar Jahren ging, ist das jetzt alles Jammern auf hohem Niveau, aber da muss doch noch mehr rauszuholen sein.

    Hat jemand Erfahrungen mit der Phase in der ich mich gerade befinde? Was hat euch geholfen?

  • Servus david23,

    erst mal Glückwunsch für deinen Werdegang, schon da solltest du vielleicht mal sehen, du bist einer der Wenigen die das überhaupt geschafft haben :smiling_face:

    Sicher kann man es "Jammern auf hohem Niveau" nennen, aber wenn man nicht glücklich mit seinem Leben ist, so darf man auch jammern!

    Der Weg, was man alles rausholen kann, dürfte viele ehemals Süchtige begleiten.

    Oft ist da die Frage, verlangen wir uns nicht zu viel ab, weil wir ja mal nicht "normal" waren und nun alles besser machen "müssen"?

    Wenn wer viele Jahre süchtig war, dann braucht es leider auch oft viele weitere Jahre, bis man seien Weg findet.

    Auch hier solltest du berücksichtigen - schon allein dieser Umstand führt bei vielen zu Rückfällen.

    Du aber kümmerst dich um deinen Werdegang, unterstützt dich mit SHG's und gehst erneut zur Therapie.

    Wer verschreibt dir eigentlich das Medikament?

    Vielleicht kann da noch ein anderer Weg eingeschlagen werden, aber das dürfte auch Bestandteil der aktuellen Therapie sein/werden.

    Was für einen beruflichen Werdegang hast du denn eingeschlagen?

    Ich verschiebe dein Thema mal in den Bereich "stoffgebundene Süchte", waren ja dein Problem :winking_face:

  • Dankeschön für die netten Worte!

    Mit dem geduldig sein ist das halt so eine Sache... ; ) Ich bin damals aus der Klinik gekommen und dachte, mir gehört jetzt die Welt!!

    Doch langsam schwindet dann die ganze Energie und man stellt fest, das alles beim alten ist und die eigentliche Arbeit jetzt erst beginnt. Sprich, sich ein komplett neues Leben aufzubauen.

    Und ja, die Erwartungen die man an sich selber stellt sind sicherlich hoch. Ich wollte immer zurück kommen mit einem Knall. "Seht wer ich jetz bin"!! Aber so funktioniert das eben nicht. Habe in meiner Abstinenz einige Phasen durchlaufen, die sich alle voneinander unterscheiden. Und wenn die Wissenschaft für diese Phase in der ich mich zur Zeit befinde noch keinen Namen hat, möchte ich sie als Phase der Ernüchterung beschreiben.

    Ich weiß das ich in dieser Zeit der Herausforderungen erst recht gut auf mich aufpassen muss und sollte mir dies gelingen noch stärker bzw stabiler hervorgehen werde!!

    Ich hoffe das es in Bezug auf meine Medikation noch Veränderungen gibt. Aber ich denke meine Sorgen und Ängste sind auch schlichtweg angebracht. Ich bin 30 Jahre alt, ledig und arbeitslos. Da sollte man doch depremiert sein!! Ich neige aber dazu in so eine Art Angststarre zu verfallen, wie die Maus vor der Schlange und ich hoffe durch die professionelle Hilfe wieder handlungsfähig zu werden.

  • "Erfolgreiches" Leben, sowie Lebensprobleme sind riesige Fässer aufzumachen. Das hat mit der Suchtproblematik aber nur bedingt was zu tun.

    Abstinenz bedeutet nicht bei mir und ich denke auch nicht allgemein Garantie auf glückliches Leben. Ich denke, es gibt ein dutzend Wege am Leben zu hart zu leiden und kreuzunglücklich zu sein. Manche davon gehe auch ich, weil ich es einfach nicht besser gebacken kriege.

    Aber Abstinenz bedeutet für mich ein Quantensprung in der Ausgangsposition, ein halbwegs sinnerfülltes oder zufriedenes Leben vielleicht erreichen zu können. Durch die Abstinenz gewinnt man Handlungsspielräume, von denen ein Süchtiger nicht wagen kann, zu träumen.

    Durch Abstinenz wird man genauso wenig glücklich, wie jeder Mensch automatisch glücklich wird. Man muss immer den Aufwand betreiben seine Wege zu suchen, sein Leben auf irgendwas aufbauen, was einem Sinn zu machen scheint, man wird unweigerleich mit seinen Dämonen kämpfen müssen, um halbwegs glücklich oder zufrieden anzukommen oder durchzukommen.

    Aber Gegenfrage: Wie sollte man als Abhängiger oder Schwerstabhängiger eine Chance haben, glücklich sein zu können? Glück ist nur noch der Ersatzstoff, den Neben- und Giftwirkungen ist man erbarmungslos und unwiderbringlich ausgesetzt. Wo soll man dort überhaupt rauskommen, als im körperlichen und mentalen Verfall, letzendlich völliger Machtlosigkeit, Hoffnungslosigkeit, und nicht mal mehr notdürftig Herr der eigenen Sinne?

    Abstinent hat man wenigstens 50/50 Chancen auf ein glückliches oder erträgliches Leben.

    Mit Drogen hat man diese Chance nicht. Ich hätte sie jedenfalls nicht gehabt. Und ich kenne genug, die gestorben sind. Dann gibt es welche, die den Verfall jahrelang bitter auskosten.

    Bei der Abstinenz gehört Leiden wohl ganz normal dazu, und vor Irrwegen, Dummheit, schlechtem Karma, Fadheit, Ratlosigkeit, und all den anderen Widrigkeiten des Lebens ist man nicht pauschal gefeit, nur weil man aus dem Loch der Abhängigkeit wenigstens mal rausgekommen ist.

    Ich sage mit lieber halb schlecht und recht leben, aber wirklich einigermaßen leben, und wenigstens in Teilen etwas Gutes, Lebenswertes ausleben, als in Narkose bis zum Tod dahindämmern, alles andere im menschlichen Leben als wertlos zu erachten und einfach zu verspielen und blind aufzugeben.

  • Das hast du sehr schön geschrieben strider!!!

    Ich habe mich zwar erst heute hier in diesem Forum angemeldet, verfolge es aber schon eine ganze Weile, da hier viele Mitglieder echt aufbauende Formulierungen finden um am Ball zu bleiben. Und wie du so schön schreibst "Bei der Abstinenz gehört Leiden wohl ganz normal dazu ..." das merke ich auch am eigenen Körper. Allerdings frage ich mich dann auch im gleichen Moment: Was bringt es mir zu Trinken? Im Grunde genommen ist es doch nur der totale Realitätsverlust und spätestens am nächsten Morgen bereut man es und fragt sich "Warum habe ich es wieder getan?" Es ist verschenkte Zeit wenn man nicht clean am Leben teilnehmen kann, wenn man denkt der Rausch wäre besser - aber das ist er nicht! Er zerstört alles nur, doch man will es in dem Moment nicht wahrhaben und akzeptieren.

    Man sollte viel mehr das reale Leben genießen, egal ob es immer einfach ist oder nicht. Viel wichtiger ist es den Schritt zu wagen und dran zu bleiben und vielleicht auch mal darüber nachzudenken, warum bin ich immer in die unreale Welt geflüchtet. Was hat mich dazu gebracht und was sollte es mir bringen ... Ich von meiner Seite merke halt immer mehr wie viel der ganze Mist kaputt gemacht hat und wer und was alles darunter gelitten hat und dafür könnte ich mich oftmals sinnbildlich selbst Ohrfeigen. Ich bereue so viel und kann es leider nicht rückgängig machen, aber aus Fehlern MUSS man einfach lernen und die Gegenwart und Zukunft in die richtige Bahn lenken.

  • Der Rausch vermag einen erstmal von unangenehmen Gefühlen, Druck, Schuldgefühlen, Versagensängsten, Zweifeln, Langeweile, (zusammen mit dem Rückzug von anderen von) sozialen Zwangslagen, Konflikten, Spannungen, Anfeindungen und Anforderungen zu entlasten.

    Besser wäre es, wie angesprochen, sich irgendwann mal zu durchschauen, was an der realen Welt für einen so belastend und so schwer zu ertragen ist.

    Man muss ja gar nicht alles aushalten oder hinnehmen. Bestimmte Klippen kann man mit klarem Kopf ebenfalls wirksam, teilweise endgültig umschiffen. Dafür muss man evtl. auch was investieren, Strategie und Taktiken entwickeln, Entscheidung treffen, Konsequenzen tragen, evtl. auch auf manches verzichten.

    Und wenn man nüchtern nun mal auch Nerven zahlt und Federn läßt, weil man nicht alles gelöst kriegt - nun, wenigstens vergiftet man sich nicht dabei. Zumal wenn man zum Rauschmittel greift, zahlt man sowieso unweigerlich auch und läßt Federn, und teils kann das auch sehr hässlich werden. Gerade bei harten Drogen und Konsummustern, Alkohol, Psychedelika oder Scheusslichkeiten wie Benzos kommt man da bei anhaltendem Gebrauch niemals ungeschoren davon.

  • Genau das, was du schreibst, will man in "nassen" Zeiten nicht hören, akzeptieren oder wahrhaben. Aber spätestens am nächsten Morgen holt einen die Realität wieder ein und das mit geballter Kraft und um weiten schlimmer ... Von Tag zu Tag wird es schlimmer und man bekommt es durch den Rausch gar nicht mehr mit. Im Nachhinein sehr traurig was die Sucht unterbewusst mit einem alles macht. :14: Als wenn man Probleme "wegtrinken" könnte - was für ein Trugschluss!!! :wall: Und ich denke das trifft nicht nur auf Alkohol zu (habe mit anderen Drogen glücklicherweise keine Erfahrung machen müssen). Aber was man hier so liest ... da fragt man sich immer wieder "Warum habe ich mir und meinen Mitmenschen das angetan?" ... "Wie konnte ich so lange Zeit so egoistisch sein?"

  • Ich war ein Drittel meines Lebens drauf. Da konnte mir irgendwer viel erzählen, dass Drogen schädlich sind. Wenn ich mich heute frage, was hätte man mir sagen oder tun sollen, damit ich in eine bessere Richtung komme, oder mir Schaden erspare:

    Letztendlich weiß ich es nicht, ich stehe ratlos angesichts dieses Gedankens.

    Vielleicht hab ich auch noch nicht lange genug drüber nachgedacht. Ich kann es jetzt nur so sehen, dass diese Entwicklung einfach mein Weg war, oder ein Weg, jedenfalls der, den ich gekommen bin.

    Tatsache ist, das ich es heute sehr schätze, keine Drogen mehr zu nehmen. Schwierigkeiten habe ich trotzdem genug, aber sicher weniger als wenn ich noch drauf wäre!

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