Hallo Anni90,
vielleicht hilft es dir, auch zu wissen, dass bei Essstörungen die Schuld- und Schamgefühle zum Krankheitsbild dazugehören. Sieh es mal so: wenn du dich ständig schuldig fühlst und schämst und deine Handlungen von diesen Emotionen leiten lässt, sprich dich nicht zur Beratungsstelle traust, dir die Schuld gibst etc. -> was passiert dann? Handelst du nach diesen Emotionen (die aus deiner Krankheit entspringen), verstärkst du deine Krankheit, weil du nichts verändern kannst, keine Hilfe in Anspruch nimmst, nicht darüber sprichst,... -> optimale Voraussetzungen für erneutes ungesundes Essverhalten. Das hattest du so schon. Daher ein paar Impulse: darfst du dir nicht helfen lassen, wenn du "schuld" hast? Was passiert wenn du den Satz bejahst mit dir, wie entwickelst du dich dann?
Vielleicht gelingt es dir, diese Schuld und Schamgefühle wahrzunehmen, aber dir zu sagen, dass du auch noch mehr bist als das. Und es nicht darum geht, wer oder was schuld ist. Du hast ein Problem. Du brauchst Hilfe. Wie das Problem zustande kam wird gar nicht bewertet oder steht jetzt nicht auf dem Arbeitsplan. Die Schuld- und Schamgefühle sind ein anderes Thema, jetzt ist der Istzustand, nicht der wie-ist-das-passiert-Zustand-> was passiert wenn du so denkst? Ich denke, du bleibst handlungsfähig und kannst daran arbeiten. Bei dem anderen Ansatz wirst du leider eher nichts verändern, außer dich "zusammenzureißen, Kontrollversuche und dann wieder daran zu scheitern,etc.etc." Wenn jemand z.B. Alkohol trinkt, werden die eigentlichen Gefühle verstärkt, Dinge, die unalkoholisiert eine gemäßigte Gefühlsregung auslösen, sind jetzt ein Orkan und haben nur noch wenig Bezug zur ursprünglichen Auslösesituation. Ähnlich ist es bei Essstörungen. Die Schuld- und Schamgefühle sind manchmal wie ein Orkan. Aber man kann es sich auch als Welle vorstellen, je länger du nicht danach handelst, desto mehr nimmt sie ab. Natürlich gibt es Rückfälle, aber es wird langfristig besser. Wenn du das Gefühl aber ständig fütterst, wird es auch immer mehr Raum einnehmen, obwohl es jetzt gar nicht dran ist und dann der Raum für das eigentlich - die aktuelle Problemsituation - gar nicht mehr gesehen werden kann.
Was zwischen dir und deinem Mann ist, muss jetzt auch hier nicht beurteilt werden. Es kann sein, dass du da einfach momentan deine Wahrnehmung benötigst, da es tatsächlich eine Schutzfunktion hat. Erst in einer stabilien therapeutischen Bindung, wo Sicherheit herrscht, sollte man an sowas feilen, mit einer Vertrauensperson. Allerdings gibt es auch Anteile in dir, die zumindest eine Teil-problematik da jetzt aktuell sehen, wie es scheint. Es ist auch wichtig, die Wahrnehmung so stehen zu lassen. Es kann für dich mehrere Wahrheiten gleichzeitig geben. Solange du für deine äußere und innere Sicherheit etwas tust, ist das für den Moment manchmal nötig, bis du es verändern kannst/willst.
Solche Impulse und Strategien lernt man übrigens in einer Therapie Wirklich, ich würde es mir für dich wünschen. Du kannst jederzeit aus dem Bera-Gespräch gehen. Nur weil du dahingehst, passiert wie gesagt gar nichts. Keine Veränderung. Du hast komplett die Kontrolle und du musst gar nichts machen. Bloss weil du dahingehst, heisst das nicht, dass du dann weitere Sachen machen musst. Schau es dir einfach an. Der erste Schritt ist getan, du hast hier geschrieben, du hast dir einen Helfer (dein Freund) organisiert und einen Beratermin vereinbart. Wenn du dich wirklich verändern willst, schaffst du es auch, über die Hürde der Schuld-/Scham zum Gespräch zu springen. Das wäre schon ein Schritt der Veränderung, weil du entgegen dem Muster handelst. Schon allein dafür lohnt sich das Gespräch. Aber es ist deine Entscheidung. Und das kann dir niemand abnehmen. Denn du musst auch bereit für Veränderung sein, sonst wird schnell alles wieder zurück auf Anfang gehen. Zumindest meiner Erfahrung nach.