Hallo Herbstwind,
ich hab verstanden, dass Dein Sohn eine offenbar sehr massive und langjährige Suchterkrankung mit sich trägt, somit auch hohen Risiken in jeder Hinsicht ausgesetzt ist und es für Dich so ausschaut, als gäbe es keinen Ausweg. Hat er je Konsumpausen gehabt, Therapie in Anspruch genommen? Bei mir geht es um (M) einen Freund, den ich schon seit über 30 Jahren kenne und der ebenfalls mit 12 oder 13 erst exzessiv mit Alkohol und dann auch Schritt für Schritt mit praktisch allen anderen Drogen anfing. Warum und ob ihm Liebe gefehlt hat lasse ich dahingestellt und will ich auch in Eurem Fall nicht hinterfragen. Bei meinem Freund hätte ein unbeschränkter Zugang zu Geld aber keine Besserung gebracht. Darüber haben wir tatsächlich schon geredet. Eher die Gier vergrößert, wie er es ausdrücken würde, das spricht ja auch Soccerlady an. Ich glaube nicht, dass er noch am Leben wäre, wenn er nicht drei oder vier Entgiftungs- und Therapieanläufe gemacht und dort Impulse von Therapeuten bekommen hätte, die er annehmen konnte. Teils war er dort aus Zwang, weil er Haftzeiit verkürzen wollte, teils weil es ihm einfach sehr schlecht ging. Trotz Ruckfällen hat es ihm, nach eigener Aussage, immer etwas gebracht, ist etwas positives hängen geblieben. Zuletzt war er bis Frühjahr 2020 in Therapie, danach ist er direkt rückfällig geworden. Für mich eine schwere Zeit, weil ich relativ kurz vor Therapiebeginn wieder mit ihm zusammen gekommen war (in dem damals irrigen Glauben, er habe sich stabilisiert) und viel Hoffnung da hineingesetzt hab, dass er dauerhaft etwas ändert. Aber als Partnerin hat man das nunmal kein Stück in der Hand.
Seither gibt es ein Auf und Ab, er kämpft, hat zwischendurch wohl längere cleane Phasen (falls stimmt, was er sagt, aber Du kennst das, man weiß es nie) . Warum? Weil ihm das Jobcenter teils monatelang nichts mehr ausgezahlt hat und schlicht keine Kohle da ist. Das sind dann eigentlich ganz gute Phasen, die Zeit geben, über Veränderungen nachzudenken, Schritte in diese Richtung zu gehen. Ob er das jemals dauerhaft schafft, steht in den Sternen, ich muss zugeben, auch ich glaube nicht mehr daran. Ich habe mich relativ weit rausgezogen, auch emotional. Wir sehen uns noch, aber ich gebe ihm kein Geld, auch wenn es angeblich für Essenseinkäufe ist. Selbst wenn, würde es nur finanzielle Spielräume schaffen. Für mich bleibt er ein wichtiger Mensch, aber eine Beziehung ist es nicht mehr.
Das ist natürlich anders als bei Euch. Aber es gibt auch Parallelen.
Mir haben auch viele geraten, den Kontakt vollständig abzubrechen. Alles leicht gesagt, da geb ich Dir recht. Auch dieser Mensch hat niemanden sonst. Und noch wichtiger, ich mag ihn, fühle mich nach den vielen Jahren, die wir uns kennen, verbunden. Aber ich möchte nicht mehr zulassen, dass der enge Kontakt zu ihm mein Leben vollständig ruiniert. Ich hab es geschafft, gewisse Grenzen zu ziehen und mich mehr um mich zu kümmern, nicht mehr ständig Angst um sein Leben zu haben. Ich pflege wieder Freundschaften, hab neue Bekannte gefunden, gehe wieder raus. Vor zwei Jahren hab ich mir einen Hund zugelegt, das war wirklich die beste Entscheidung seit langem.
Ihm erlaube ich mittlerweile nicht mehr, nach tagelangem Abtauchen plötzlich wieder unangemeldet aufzukreuzen, hier Unruhe und Gereiztheit zu verbreiten, etc. Du beschreibst, wie sich Dein Sohn verhält und weißt, was ich meine. Ich hatte zeitweise ganz vergessen, dass ich auch da bin, was ich will und was nicht, und Dir geht es vielleicht ähnlich. Das will ich so nicht mehr, und das sage ich ihm auch klar, und es wird respektiert. Ich überlasse ihm auch jegliche Suche nach therapeutischen Hilfen selbst, und es gibt tatsächlich viele Angebote, die auch Dein Sohn in Anspruch nehmen könnte, das weißt Du ja. Wie ist es derzeit in Haft, konsumiert er weiter?
Du wirst vielleich sagen, es sei für mich leichter, weil es nicht um mein Kind geht und ich mich nicht verantwortlich fühlen muss, und das stimmt natürlich. Aber auch einem "Kind" - da gebe ich neuerweg1 recht - kann man nicht alles abnehmen, sonst verweigert es immer mehr Eigeninitiative. Du beschreibst ja, dass Dein Sohn sich wohl auch erdrückt fühlen muss. Er spürt Deine ständige Sorge und Angst und Bereitschaft zu bedingungsloser Aufopferung. Wie soll er reifen und Eigenverantwortung lernen? Ich kann total nachvollziehen, dass es schwer, kaum erträglich ist. Auch und vor allem, sich mit dem Gedanken auseinanderzusetzen, dass die Zeit begrenzt sein könnte. Deshalb wünsche ich Dir, dass Du etwas findest, das Dich stärkt und positive Perspektiven für Dich selbst eröffnet, um Dein Leben wiederzuentdecken und vielleicht den schon oben beschriebenen Mittelweg mit Deinem Sohn.
Noch zu der Selbsthilfegruppe: ich war in einer, in der Betroffene und Angehörige waren. Das bot gerade im Zusammenspiel gute Denkanstöße.
Gute Entscheidung mit der Gruppe, hab's erst nach dem Abschicken meiner Nachricht gelesen schon allein, um nicht mehr alles mit Dir selbst auszumachen. Viel Erfolg!