Jahrelang täglich gekifft

  • Hallo zusammen!

    Ich bin heute Nachmittag auf dieses Forum und konkret auf diesen Thread gestossen, und habe ihn mir in den letzten Stunden fast komplett durchgelesen. Ich weiss gar nicht, wo ich anfangen soll... naja, doch: ich bin hier, weil auch ich jahrelang täglich gekifft habe und nun zum zweiten Mal in meinem Leben wieder ernsthaft versuche, ohne klarzukommen. Ich könnte einen ganzen Roman schreiben, werde aber versuchen, mich kurz zu fassen und möchte mich kurz vorstellen: ich bin weiblich und 37 Jahre alt. Mit 13 fing ich an, Zigaretten zu rauchen und zu kiffen. Mit 14 habe ich bereits täglich gekifft und habe über viele Jahre hinweg nie einen Versuch unternommen, abstinent zu werden. Mir war bereits mit 14/15 Jahren klar, dass ich abhängig bin, das hat mir nur insofern geholfen, dass ich vor dem Missbrauch anderer Substanzen zurückschreckte (nach dem Motto: eine Sucht reicht mir). Ich habe trotz vieler persönlicher Probleme erfolgreich Abitur, Studium und Master abgeschlossen. Das Studium hat sich allerdings etwas hinausgezögert, seit 2016 bin ich selbstständige Übersetzerin.

    Ich bin seit dem 15. November mit meinem zweiten Abstinenz-Anlauf gestartet und ja: hoffentlich ist es dieses Mal für immer. Ich habe im Internet Artikel über Cannabisentzug gelesen und dachte mir, dass es schön wäre, mich in einem Forum mit Menschen austauschen zu können, denen es ähnlich geht. Meine letzte (erste) Abstinenz-Phase ging vom 1. Mai 2019 bis März/April 2020, fast ein Jahr. Ich hatte mich im Vorfeld bei Quit the Shit angemeldet, um mich unterstützt zu fühlen. Die Beraterin meinte im ersten und einzigen Gespräch mit mir, dass es scheint, ich wäre in meinem Entschluss fest und dass ich daher nicht am Programm teilnehmen müsse...
    Was ist in diesem fast Jahr nicht kiffen in mir/in meinem Leben passiert? So einiges! Ich bin mittlerweile zu dem Schluss gekommen, dass ich es nie gelernt habe, mit meinen Emotionen umzugehen. Kiffen kann sehr lustig sein und der Kiffer-Lifestyle ist irgendwie cool, ja. Nur wenn man jeden Tag kifft, dann spürt man die Gefühle gar nicht mehr richtig. Bei mir war es so weit gekommen, dass ich den Draht zu meiner Gefühlswelt völlig verloren hatte. Also, meine Quintessenz: kiffen hilft nicht bei Problembewältigung, aber: mit kiffen aufhören allein ist das Leben auch noch lange nicht geregelt. Bei mir war es ein kompletter Neuanfang, ich wollte mein Leben nicht weiter "verschlafen". Tagebuch schreiben hat mir sehr geholfen. Rausgehen, Freunde treffen, Sachen machen, für die ich seit Jahren keine Energie/Lust hatte. Das Leben ist nicht immer schön und einfach, aber ständig meine Gefühle beschallen bzw. ausschalten hat bei mir dazu geführt, dass ich mich wie ein Zombie fühlte, wie eine lebendige Tote. Menschen, die nicht kiffen oder andere Drogen nehmen haben auch Probleme und auch oft Probleme, diese zu bewältigen, es wäre also ein Trugschluss zu glauben, dass sich nur mit dem Einstellen dieser Gewohnheit alles regelt. Ich hatte das Gefühl, mein Leben, meine Jugend läuft an mir vorbei und wir haben ja nun mal nur ein Leben.
    Beim Dauerkiffen stellt sich oft die Frage nach dem Ei, was war zuerst da, das Kiffen oder die Depression? Schwer zu beantworten. Für mich konnte kiffen die Depressionen nicht lösen. Es war eher so, dass ich mich komplett isolierte und immer mehr nach aussen und innen verschloss. Und dann ist es oft wie eine Endlosschleife, wie eine Platte mit Sprung, ich komme nicht weiter oder zumindest nur bedingt. Alles ist richtig scheisse, mir geht es nicht gut, Lösung - ich kiffe mir die Birne voll, dann vergesse ich den Kummer und Schmerz, solange, bis es mir wieder richtig scheisse geht und man hat das Gefühl, auf der Stelle zu treten.

    Bud, ich rate dir nicht, wieder anzufangen. Ich kann nur von mir sprechen, in meiner ersten Abstinenz war ich knallhart ohne Ausnahmen, dieses Mal bin ich jetzt einen Monat dabei und hatte allerdings mehrere Rückfälle (circa 5) und es war jedes Mal schrecklich! Wirklich. Nicht nur wegen des schlechten Gewissens mir selbst gegenüber, der Törn (bei stark reduzierter Menge) war einfach ungeniessbar! Herzrasen, Schwindel, Unwohlsein, unangenehme Gedanken und Erinnerungen, ja, auch interessante innere Zwiegespräche, an die kann ich mich aber natürlich nicht mehr erinnern. Auch gestern habe ich einige Male vom Joint gezogen und habe es sofort wieder bereut. Ich möchte es auf jeden Fall nicht mehr. Meine Beziehung zu dem Zeug ist mehr als gestört und ich glaube, dass ich es nie schaffen werde, mit ihr auf guten Fuss zu kommen. Dann lieber gar nicht. Ich weiss, dass viel Arbeit vor mir liegt. Es geht mir seit zwei Wochen gar nicht gut, es sind einfach viel zu viele Gefühle, die ich für mein Empfinden jetzt nüchtern viel zu intensiv wahrnehme. Aber das wird sich schon entspannen, dauert aber. So viel für heute.

    Ich freue mich, dieses Forum gefunden zu habe und erhoffe mir, dass es mir hilft, diesen Entschluss durchzuziehen. Wenn ich nebenbei sogar auch anderen helfen könnte, würde ich mich darüber sehr freuen. Schönen Abend noch und bis bald!

  • Hallo saritaverde,

    herzlich willkommen bei den unglücklich Abstinenten (damit spreche ich in erster Linie für mich).

    Bin jetzt im 16. Monat und deine Schilderungen haben mich darin bestärkt, nicht wieder den Weg zurück einzuschlagen.

    Eigentlich ist mir das schon die ganze Zeit klar.

    Bei dir geht es jetzt erstmal ums Durchhalten.

    Bist du anfällig für Entzugserscheinungen?

    Wie war das 2019?

    Wer steht dir zur Seite?

    Familie?

    Mann, Freund, Kinder?

    LG

    Bud

  • Hallo Bud,

    Danke, ich freue mich, dass dieser Club hier virtuell existiert :). Ich versuche mal, auf deine Fragen einzugehen (Spoiler: es ist ein wenig lang geworden).

    Als ich am 1.Mai 2019 aufhörte, war ich genau zwei Jahre Tabak-frei, damit hatte ich am 1. Mai 2017 aufgehört, auch zum ersten Mal, seitdem ich angefangen hatte. Damals 2017 brachte mich zum denken, als im April ein Bekannter (starker Raucher und Kaffee-Trinker) im Alter von 62 Jahren plötzlich starb. So habe ich in den folgenden 2 Jahren nur noch Gras pur geraucht. Mein Konsum hatte sich dadurch verändert, logischerweise. 5-10 Pur-Tüten vertrag ich gar nicht, zumal ich dadurch auch nicht mehr bei anderen mitrauchen konnte/wollte. Ich baute sehr dünne, kleine Joints mit langem Filter. Das Impulsrauchen war dann auch nicht mehr so stark, weil wenn man Gras mit Tabak mischt, ist das ja so eine Sache, da hat man dann manchmal Lust/Drang, einen zu rauchen, kann aber in dem Moment nicht und greift zur Kippe. Manchmal ist es aber auch die Nikotinsucht, die einen antreibt, sich einen zu bauen.
    Auch in sozialen Runden merkte ich, dass mir das Gras immer mehr zusetzte und ich immer weniger mitkriegte, ich konnte bekifft nicht mehreren Gesprächen gleichzeitig folgen und fühlte mich einfach immer müde, so habe ich das Kiffen hauptsächlich auf abends und Zuhause beschränkt. Den Entschluss, endgültig aufzuhören, habe ich im März 2019 gefasst, brauchte aber einige Zeit, um das ganze anzupeilen. Am 1. April hatte es nicht geklappt, war wohl noch zu früh, aber am 1. Mai (an dem ich es ja auch geschafft hatte, vom Nikotin wegzukommen) zog ich es dann eiskalt durch. Ich hatte mir einen kleinen Kalender gemacht für diesen Monat, mit einem Kästchen für jeden Tag. Den habe ich an den Spiegel gehängt und jeden morgen für den vorherigen Tag ein Herz reingemalt.

    Es war überraschenderweise sehr viel einfacher, als ich gedacht hatte, ich hatte den Entschluss gefasst und daraufhin gearbeitet, so war die erste Woche gar nicht so schlimm, sehr viel weniger, als ich gedacht hätte. Am kritischsten war fast, den Abend anders zu gestalten und nicht wie gewohnt zum Joint zu greifen. Ich hatte aber garantiert noch irre THC-Reserven im Körper. Einschlafen ging auch sehr viel besser als vermutet. Ich hatte viele verrückte Träume. Nach circa drei Wochen waren dann wohl meine Reserven aufgebraucht, da hatte ich dann einige Zeit richtig starke Kopfschmerzen, direkt an den zwei Punkten, wo die Augenbrauen anfangen, so als ob da jemand mit einem Bohrer reingehen würde. Und Einschlafen ging zwar immer noch gut, nur wachte ich oft nachts/frühmorgens auf und konnte dann nicht wieder einschlafen und war dann morgens entsprechend gerädert. Das lag aber auch daran, dass ich viel Gedankenkarussell hatte.

    Das war's eigentlich schon mit Entzugserscheinungen. Ich hatte die ganze Zeit über mehrere Einmachgläser mit Gras im Haus und habe auch weiterhin mit Personen Kontakt gehabt, die kiffen, das hat mich gar nicht tangiert/getriggert, weil mein Entschluss fest war und ich es einfach durchziehen wollte. Mir war klar, dass ich es einfach viel zu lange Zeit damit übertrieben hatte und es mir nicht mehr gut getan hat.

    Dieses Mal ist es etwas anders. Ich habe wie gesagt relativ zu Beginn der Pandemie wieder angefangen. So aus Spass und Langeweile, mal hier und da gezogen, naja, einige Monate später war ich dann wieder voll drauf. Auch mit Zigaretten. Soo doof. Seitdem schämte ich mich irgendwie dafür. Vor allem vor mir selbst. Vor meinem starken ich, dass ich gerade erst kennenzulernen begann und dann wieder in einen Rauchkäfig gesperrt habe.

    Aber bevor ich die jetzige Entzugs-Situation erläutere, muss ich vielleicht doch erst mal kurz über meine familiären Verhältnisse sprechen. Ich bin Norddeutsche, lebe aber seit 2010 in Spanien. Meine relativ kleine Familie ist nach wie vor in Deutschland. 2008/2009 hatte ich ein Erasmus-Jahr in Andalusien. Ich habe aber komischerweise schon davon geträumt, ins Ausland zu gehen, seitdem ich 13 war. In Andalusien habe ich meinen jetzigen Partner kennengelernt, vor über 13 Jahren. September 2009 ging ich zurück nach Deutschland, wollte das Studium beenden, das hatte sich aber verkompliziert, weil ich kein Bafög mehr bekam und nebenbei arbeiten musste, ich wollte nicht länger warten und bin dann im Sommer 2010 ausgewandert, da war ich 24. Anstatt in Andalusien mein Hispanistik/Lehramtsstudium fortzusetzen (wie ich anfangs meiner Familie erzählte), meldete ich mich für ein neues Studium in Translationswissenschaften an. Ich schweife glaube ich zu viel aus... Ums kurz zu machen: mein Freund hat eine ähnliche Beziehung zum Kiffen wie ich, d.h., er ist auch seitdem er 14/15 ist, täglich am Kiffen und zwar nicht wenig. In diesem Sinne sind wir uns sehr ähnlich. Und wir beide haben vermutlich unter anderem einen problematischen Konsum entwickelt, um Traumata aus der Kindheit/frühen Adoleszenz zu verdrängen. Bei mir zu hause wurde allerdings auch gekifft. Meine Mutter und mein Stiefvater fingen damit an, als ich gerade in die Grundschule kam. Sie haben jetzt vor einigen Jahren damit aufgehört. Und sie hatten auch einen problematischen Konsum, haben sich extrem isoliert, immer im Kreis gedreht.
    Das ist vielleicht das Gefährliche am Kiffen. Ja, es ist eine "leichte" Droge, man kann seinen Alltag halbwegs auf die Reihe kriegen und es vor anderen wenn man möchte relativ gut geheim halten. Aber man isoliert sich in seinem Schneckenhaus/ Traumschloss/ Elfenbeinturm, was auch immer. Man kommt aus seiner Komfortzone nicht mehr gross heraus, und je länger man darin steckt, desto schwieriger wird es, dort herauszukommen. Aber, wie meine Mutter immer sagte "Aus einer geschlossen Hand geht nix raus, kommt aber auch nix rein". Sie bezog sich dabei glaube ich eher auf finanzielle Themen, man kann es aber auf viel mehr beziehen. Wenn ich am Leben nicht aktiv teilnehme, mich anderen Personen gegenüber nicht öffne, dann kommt immer weniger zurück, immer weniger Input. Die Langeweile und innere Leere wird immer grösser. Man mag das Leben nicht mehr, man mag sich selbst immer weniger... und dadurch auch automatisch die Menschen um einen herum. Eigentlich schade, oder?

  • Hatte schon die 10.000 Zeichen überschritten, dabei habe ich schon aufgehört, bevor die Geschichte zu Ende war:

    So, es ist alles sehr miteinander verzwickt, sorry, wenn ich das hier so lange ausdehne. Im März 2019 haben mein Freund und ich uns "getrennt". Ich schreibe das in Anführungsstrichen, weil wir eigentlich nur halb getrennt waren. Also offiziell schon, er ist sogar ausgezogen. Er ist dann in eine WG gezogen, die keine 50 Meter von meiner Wohnung entfernt war. Wir haben uns getrennt, obwohl wir uns geliebt haben. Schon komisch, oder? Liebe allein scheint aber anscheinend nicht ausreichend zu sein. Wir waren schon seit langer Zeit nicht wirklich glücklich miteinander, wahrscheinlich auch unabhängig davon nicht glücklich mit uns selbst. So war 2019 eigentlich auch wieder der Auslöser, mit dem Kiffen aufzuhören, dass etwas "Schlimmes" passiert war. Ich war total am Ende. Und wollte nicht verrückt werden. Deswegen habe ich damals aufgehört. Und ich musste endlich mal raus aus dieser Komfortzone, und einfach leben. Das ging dann sogar. Nach und nach, immer besser. Etwas Sucht-Verlagerung hatte ich allerdings schon, ich habe dann fast täglich abends etwas Bier oder auch ein Gläschen Wein getrunken. Brauchte immer noch irgendetwas "zur Entspannung". Aber es ging mir langsam echt besser.

    Ich war allein, das wovor ich in den Jahren zuvor so viel Angst hatte, ist eingetreten. Und es hat mit gut getan. Ich habe fast täglich Tagebuch geschrieben, hatte viel Selbstreflektion, und habe angefangen, selbst für mein Glück verantwortlich zu sein, anstatt Fehler bei meinem Freund/unserer Beziehung zu suchen. In diesem Jahr wäre unser 10. Jubiläum gewesen.

    Es kam natürlich auch sehr viel hoch. Ich bin ein relativ ruhiger, umgänglicher Mensch, um nicht zu sagen konfliktscheu. Mein Ventil war wie gesagt seit frühester Jugendzeit das Kiffen. Als ich nicht mehr Gras rauchte, kam meine ganze aufgestaute Wut, der ganze aufgestaute Frust raus. Ich nannte es immer "Vulkanausbruch". Ich hatte gefühlt eh nichts mehr im Leben zu verlieren, wieso mich also zurückhalten? Konnte ich eh nicht, es ist buchstäblich alles aus mir herausgebrochen. Ich war mit meinem Umfeld sehr offen, ehrlich, habe meine Verletzlichkeit nicht versteckt. Interessanterweise habe ich in dieser Zeit viele neue gute Freundschaften geschlossen. Es hat mich keiner verurteilt dafür.

    Um langsam zum Ende zu kommen (das ist hier schon wieder ein halber Roman): der Stillstand hatte unsere persönliche Entwicklung und auch unsere Beziehung gekillt bzw. auf Eis gelegt. 2019 war also das Umbruchjahr schlechthin für mich, in vielerlei Hinsicht. Im August hatte sogar mein damaliger Ex aufgehört zu kiffen. Ich konnte es fast nicht glauben! Ich muss dazu sagen, dass ich mit in dem Moment dabei war, jemanden kennenzulernen und ihm einige Wochen vorher eröffnet hatte, dass ich nicht mehr mit ihm Sex haben wollte (wir haben uns weiterhin fast täglich gesehen, hatten "geteiltes Sorgerecht" mit unserem Hund, eine Woche ich, eine Woche er, ich habe ihn aber nie über Nacht bleiben lassen, wir waren ja schließlich getrennt). Im Januar 2020 ging er dann nach Mexiko, wo er ein dubioses Arbeitsangebot hatte. Ihm war glaube ich schon im Vorhinein klar, dass daraus (aus gutem Menschenverstand) nichts werden würde. Schon im Februar hatte er sich aus Mexiko-Stadt abgemacht, schrieb mir täglich und sagte mir, ich solle kommen, mit ihm einige Wochen Urlaub verbringen, wir könnten dann gemeinsam wieder zurück nach Andalusien. So bin ich am 29. Februar nach Mexiko geflogen, hatte für uns beide Rückfluge am 31 März gebucht. Am 14. März hat der spanische Ministerpräsident den Notstand wegen Pandemie ausgerufen, für zwei Wochen. Wir dachten "oh cool, das passt ja, unser Rückflug ist am 31., dann kommen wir zurück wenn alles vorbei ist... und haben unsere Reise fortgeführt. Einige Tage später erhielt ich die Nachricht, dass unsere Rückflüge mit der Billig-Fluggesellschaft gecancelt wurden. Naja, dann mussten wir in den sauren Apfel beissen und haben neue, sehr teure Rückflüge gebucht, von Mexiko-Stadt. Mittlerweile waren wir dort die neuen "Chinesen", da dort die ganzen ersten Corona-Fälle aus Europa importiert waren. Am 21. zurück nach Madrid, alles extrem surrealistisch, ein Haufen Stress... so war meine erste Übersee-Reise. Zuhause entschlossen wir uns dann, den vorerst weitere 2 Wochen verlängerten Pandemie-Lockdown gemeinsam zu verbringen. Wir haben auf der Dachterrasse gesessen, Karten gespielt, Bier getrunken, es war überwältigend und doch irgendwie witzig, aber eigentlich nicht. Da fing er wieder an zu rauchen und ich dann nach und nach auch. Ich dachte mir "ist doch eh egal, wenn wir alle bald sterben werden". Und so war ich wieder ein wenig dran. Im April kam dann die Vermieterin vorbei und meldete Eigenbedarf an. Dann der Umzug, zum Glück hatte ich was "um die Ecke" gefunden.

    Sooo, ich glaub ich mach jetzt mal Schluss, das nächste Mal erzähle ich dann, was von diesem Zeitpunkt bis heute alles passiert ist.

    Liebe Grüsse, saritaverde

  • Guten Morgen saritaverde,

    sind ja bewegte Zeiten, die du da hinter dir hast.

    Das mit den intensiven Gefühlen bereitet mir auch die größten Probleme.

    In den 29 Jahren des Konsums musste man nichts verarbeiten, es wurde alles vom Cannabis geregelt. Vermeintlich. Jetzt ist alles mit einem Schlag zurück.

    Ich möchte wirklich nicht mehr konsumieren. Aber ich habe noch keine Methode gefunden, wie ich ohne dope mein Leben meistern kann.

    Würde ich jetzt konsumieren, wäre der Rausch eh nicht erholsam. Ich muss zum Aushalten meines Lebens zum Dauerkonsum zurückkehren, was für mich keine Option mehr darstellt.

    Von außen betrachtet habe ich für viele das perfekte Leben.

    Einen gut bezahlten und unbefristeten Job im öffentlichen Dienst. Eine tolle Frau, zwei gesunde Kinder, die auch erfolgreich in der Schule bzw. im Studium sind. Ein eigenes Haus, das in wenigen Jahren abbezahlt sein wird. Eine relativ intakte Beziehung zu meinen Eltern. Keine finanziellen Sorgen und auch keine wirklich bedeutsamen gesundheitlichen Probleme.

    Es gibt ein schon lange existentes Bandscheibenleiden, das auch zu einem Taubheitsgefühl an der Außenseite meines linken Fußes führt. Aber auch das ist erträglich.

    Für alle Menschen, die so auf mein Leben blicken, jammere ich auf hohem Niveau.

    Aber ich bin halt permanent angespannt, kann mich kaum lange auf etwas konzentrieren, vergesse ständig was ich sagen wollte und bin soooooo unglaublich antriebslos.

    Ständig befasse ich mich mit der Frage, was ich an meinem Leben ändern muss, damit ich glücklich werde.

    Muss ich mich beruflich verändern? Bin ich der Verantwortung in meinem Job überhaupt gewachsen? Interessiert es mich überhaupt genug, was ich tue?

    Oder muss ich vielleicht gar nichts an meinen Lebensumständen verändern sondern "nur" also stattdessen meine Einstellung zu den Dingen. Meine Frau empfiehlt mir immer, nicht so viel nachzudenken, einfach machen. Also nicht fragen, ob was zu verändern ist, sondern die Dinge die so anstehen einfach zu machen.

    Ich weiß es nicht. Aber mit einem Punkt hast du wohl recht: Das Kiffen einzustellen ist noch nicht die Lösung der Probleme. Es ist die Voraussetzung, um Lösungen herbeiführen zu können. Erst ohne Konsum ist Platz für Alternativen geschaffen. Nur such ich seit jetzt 16 Monaten nach der oder den Alternative/n.

    Geduld und Entschlussfreudigkeit sind nicht meine Stärken!

    Die Rückkehr zum (Dauer-) Konsum wäre aber die logische Konsequenz, wenn ich nicht den anderen Weg beschreiten kann. Soweit erstmal von mir. Bin schon gespannt auf deine Ausführungen zu dem ja doch sehr langen abstinenten Zeitraum.

    Wo steckt eigentlich wildchild? Bist du noch Weggefährte oder auf den altbekannten Pfad zurückgekehrt?

    LG Bud


    Das ist so leicht gesagt. Vielleicht ist meine von mir beschriebene Antriebslosigkeit ja auch nur eine Form von Faulheit?!

  • Hi Bud,

    Damit das hier meinerseits keine einseitige Berichterstattung wird, würde ich dich gern folgendes fragen:

    Du hast berichtet, dass du dich seit der Abstinenz mit deiner Frau und auch mit deinen Töchtern besser verstehst. Hast du abgesehen davon noch andere positive Veränderungen bemerkt?

    Und: wenn ich es richtig verstanden habe, hast du in diesen 16 Monaten immer mal wieder mit dem Gedanken gespielt, wieder anzufangen. Was hat dich dazu motiviert? Nostalgie? Resignation?

    Denkst du, dass bei Leuten wie uns, die viele Jahre über viel gekifft haben, das so ähnlich ist wie bei den anonymen Alkoholikern? Also dass quasi ein Leben lang die Gefahr besteht, wieder rückfällig zu werden?

    Huch, ich habe erst jetzt deine Nachricht von eben gesehen.
    Was deine Frau sagt, ist vielleicht gar kein schlechter Ansatz. Ich bin in den letzten Wochen auch darauf gekommen, dass die ständige und langfristige Unterdrückung meiner Gefühle dazu geführt hat, dass ich viel zu "verkopft" bin. Und mein momentanes Gefühlswirrwar hat mir auch auf die Gesundheit geschlagen.
    Ich habe mir deswegen vorgenommen, zu versuchen, nicht so viel nachzudenken, sondern stattdessen auf der Körperebene anzusetzen, um mehr Wohlbefinden zu schaffen. Das bedeutet bei mir konkret erst mal 1. gesündere Ernährung und 2. sportliche Betätigung. Ist jetzt nicht so, dass ich jemals wirklich sportlich war. Hatte noch nie Gewichtsprobleme, vielleicht deswegen immer den Gedanken nicht wirklich priorisiert. Aber 2018 habe ich tatsächlich mal 3 Monate lang regelmässig Sport getrieben und es war echt erstaunlich, was da so passiert ist: ich habe mich bereits nach wenigen Wochen körperlich stärker und ausdauerfähiger gefühlt und ich glaube, dass es auch meiner Psyche gut getan hat. Ich konnte viel besser schlafen (wie ein Kind), hatte guten Appetit. Damals hatte ich schon fast chronisch steifen Nacken/Hals, das war mit nur drei Monaten Sport für über ein Jahr behoben. Dann hatte ich einen Unfall und es erst mal gelassen, leider nie wieder angefangen. Aber das kann ja noch werden. Ich habe mir das jetzt vor circa zwei Wochen vorgenommen und noch nichts gemacht, mal gucken, ob ich heute eine kleine Yoga-Session mit Youtube auf die Reihe kriege. Die Matte habe ich schon vor einigen Tagen auf die Dachterrasse gepackt. Fühle mich die Tage leider etwas angeschlagen.

    LG saritaverde

  • Hallo saritaverde,

    zu deinen Fragen:

    Also insgesamt bin ich umgänglicher geworden. Am stärksten macht sich das natürlich im heimischen Umfeld bemerkbar. Im Konsum habe ich dazu geneigt, mit Sticheleien oder übertriebenem Zynismus meine Mitmenschen zu provozieren. Ist mir in den Situationen natürlich nie wirklich bewusst gewesen. Man steht ja bekifft komplett über den Dingen. Mir wird das jetzt im Nachhinein von meiner Frau und meiner großen Tochter so gespiegelt. Andere Mitmenschen können in dem Bezug auch keinen Vergleich anstellen. Der Personenkreis der von meinem intensiven Konsum weiß ist sehr klein. Das allein ist schon eine positive Veränderung, die ihresgleichen sucht. Ich werde auch als ruhiger empfunden, nicht mehr so getrieben. Interessanterweise neige ich jetzt in der Abstinenz dazu, die Dinge genau andersherum zu sehen.

    Ich halte mich nun für viel empfindsamer und dünnhäutiger, damit einhergehend auch für unruhiger. Auch bilde und rede ich mir ein, als Konsument leistungsfähiger und belastbarer gewesen zu sein als jetzt.

    Das ist eine prima Überleitung zu deiner nächsten Frage:

    Nach wie vor bin ich ja von den Gedanken an den Konsum geplagt. Das ist so eine Art Glorifizierung. Ich erinnere mich ja mit meinen heute 47 Jahren nur an ein Leben im Dauerkonsum (29 Jahre). Das neue Leben ist so befremdlich und passt mir immer noch nicht wirklich. Warum, habe ich ja im letzten Post beschrieben: es gibt noch keine adäquate Alternative.

    Deshalb verdränge ich bei meinen Erinnerungen an den Konsum alle negativen Aspekte und zeige mir auf, wieviel besser es mir da noch ging.

    ABER DAS IST EINE ILLUSION!!!!

    Nichts kann mit dem Konsumieren einer Substanz besser sein als ohne, gar nichts!

    Man kann das auch mit Nostalgie übersetzen und natürlich ist es eine Form der Resignation. Nach dem Motto: Wenn das Leben ohne ja gar nicht besser ist oder wird, kann ich ja genauso gut weiterkonsumieren. Es geht mir damit aber nicht besser. Es ist eher so, dass ich im Konsum nur nicht so intensiv spüre, wie es mir tatsächlich geht. das ist ein Riesenunterschied. Das habe ich ja auch verstanden und bleibe immer noch stur.

    Ich muss aber auch an meine Mitmenschen denken. Meine Familie, insbesondere meine Frau musste immer diese Launen im Rausch aushalten. Zurzeit muss es mir reichen, ein besserer Mensch für andere geworden zu sein.

    Und ich für meinen Teil kann behaupten, dass ich mein restliches Leben suchtkrank bleiben werde. Falls deine Frage darauf abzielt, ob irgendwann mal ein geregelter Konsum möglich ist. Ich weiß, dass es einige Konsumenten gibt, die vom Dauerkonsum auf Gelegenheitskonsum umstellen konnten. Ich habe es ehrlich gesagt nie wirklich versucht. Bei meinen Abstinenzen in der Vergangenheit habe ich immer, sobald ich wieder zum Gras gegriffen habe, mit Vollgas die Rückkehr ins mir so lieb gewonnene und bekannte Leben gefeiert. Schließlich hatte ich ja auch immer einige Wochen oder allerhöchstens mal drei Monate drogenfreie Zeit nachzuholen. Aber ich glaube, ein Mensch, der Cannabis so wie ich verwendet hat, sollte Zeit seines Lebens die Finger davon lassen.

    Bin auf der Arbeit und höre jetzt auf zu schreiben.

    LG

    Bud

  • Bud und saritaverde

    Themen wurden geteilt, sonst vermischt sich alles und keiner kennt sich mehr aus.

    So hat jeder seinen Bereich ...

    saritaverde wenn du einen anderen Titel für dein Thema wünschst, dann sag es einfach, dann ändern wir das gerne nach deinen Wünschen :smiling_face:

    LG Franz

  • Hallo zusammen und fröhliche Weihnachten!

    Ich bin in den letzten Tagen aufgrund sozialer und häuslicher Verpflichtungen nicht wirklich zum Schreiben gekommen. Aber gute Nachricht: ich bin weiterhin am Ball und habe seit meinem letzten Beitrag nicht gekifft.
    Mittlerweile hat sich der Sturm, der in den letzten Wochen gefühlsmässig in mir tobte, einigermassen gelegt. Damit einhergehend sind auch meine körperlichen Beschwerden (Durchfall, komischer Hautausschlag, allgemeine Abgeschlagenheit und Kopfschmerzen) verschwunden. Und ich kann mittlerweile auch gut schlafen. Zum Glück. Ich war gefühlt echt in ein Loch ohne Boden gefallen und wusste gar nicht mehr, wo rechts, links, oben oder unten war. Aber jetzt geht es mir besser und ich fühle mich wieder stabiler.
    In den kommenden Tagen werde ich die Lücke in meinem Erfahrungsbericht füllen und versuchen zu erzählen, was von 2020 bis heute alles so passiert ist.

    Bud, ich möchte auch gerne unsere Unterhaltung weiterführen und einige Überlegungen zum Thema Arbeit, Suche nach dem persönlichen Glück, etc. anbringen, habe mir in den letzten Tagen viele Gedanken darum gemacht.

    Bis dahin schöne Feiertage und bis bald

    saritaverde

  • Hallo sarita verde,

    eine guten Start ins neue Jahr wünsche ich dir.

    Bei mir gibt es nicht viel Neues. Silvester habe ich ganz gut verbracht. Nun steht wieder das Berufsleben auf dem Programm und ich habe momentan auf rein gar nichts Lust.

    Ich würde mich gern mit dir über persönliches Glück und Zufriedenheit mit dem Leben insgesamt austauschen. ebenso bin ich noch immer gespannt darauf, zu erfahren, wie die vergangenen zwei Jahre für dich so gelaufen sind.

    VG

    Bud

  • Hallo Bud,

    ich wünsche dir auch einen guten Start in das neue Jahr. Ich habe momentan Handwerker im Haus, (die hoffentlich im Lauf der nächsten 2 Monate mal endlich fertig werden, Spanien halt...) was mich etwas stresst, aber diese Woche haben die sich anscheinend frei genommen, was mir ehrlich gesagt ganz gut passt. Hier ist Weihnachten auch erst nach dem 06.01., den drei heiligen Königen, vorbei.

    Wie immer weiss ich gar nicht, wo ich anfangen soll. Ich bin immer noch abstinent und allmählich festigt es sich. D.h., es ist schon mehrere Wochen her, dass ich "schwach wurde" und versucht war, am Joint zu ziehen.

    Bevor ich erzähle, wie es ab April 2020 weiterging, möchte ich kurz noch einmal zusammenfassen, welche Veränderungen ich in meiner ersten abstinenten Zeit Mai 2019 bis April 2020 bemerkt habe (ich lasse die Entzugserscheinungen jetzt mal aussen vor, da bin ich ja schon vor einiger Zeit näher drauf eingegangen):

    Ich hatte wie gesagt vorher exakt zwei Jahre (Mai 2017- Mai 2019) nur Gras pur geraucht. Eine interessante Veränderung war eine sehr viel bessere Mundgesundheit. Jetzt nicht, dass ich grosse Probleme hätte, ohne Zigaretten war es auch schon sehr viel besser, aber komplett gar nicht rauchen war echt noch mal ein anderer Schnack. Das Mundgefühl an sich und das Zahnfleisch waren nach kurzer Zeit sehr viel besser. Keinen trockenen Mund mehr und auch keine spröden Lippen. Viel weniger Zahnbelag, überhaupt keinen Zahnstein. Wenn man so viele Jahre raucht, weiss man wahrscheinlich gar nicht mehr, wie sich ein gesunder Mund/Rachen überhaupt anfühlt. Das war echt unerwartet und klasse. Ich hatte mal eine Zahnärztin, die Kubanerin war, die erzählte mir damals (2017, kurz bevor ich mit Zigaretten rauchen aufgehört habe), dass nicht nur die Substanzen im Tabak an sich schädlich sind, sondern für den Mund und den Rachen vor allem der (oftmals sehr heisse) Rauch.

    Ich fing an, meine Gefühle sehr viel stärker und vor allem zeitnaher wahrzunehmen: das war für mich komplett neu, da ich wie gesagt seit 14 täglich am Kiffen war. Oft war es bei mir so, dass ich sehr spät bemerkte, dass es mir nicht gut geht, bzw. mir etwas quer liegt und es wenn überhaupt erst nach einiger Zeit benennen konnte. So wurde mir oft erst Wochen später klar, dass mich etwas wütend oder traurig gemacht hat. Dann war es oft ziemlich problematisch, dass so verzögert anderen mitzuteilen, nach dem Motto "du, was du vor drei Wochen da und da zu mir gesagt hast, hat mich echt sauer gemacht...". Nach circa drei Monaten Abstinenz merkte ich, dass ich sehr viel reaktionsfähiger war und direkt im Hier und Jetzt meine Gefühle und Ansichten verbal zum Ausdruck bringen konnte. Kurz gesagt, ich hatte eine sehr viel funktionalere und für mich zufriedenstellendere Kommunikationsfähigkeit.
    Meine Wahrnehmung und meine Gedanken waren sehr viel klarer und geordneter und ich hatte ein besseres Erinnerungsvermögen.

    Ich habe mich wacher und frischer gefühlt. Ich war nicht mehr ständig müde und schlapp und hatte auch nicht mehr ständig rote Augen. Das mit den roten Augen war echt ein Problem für mich, da es mir oft richtig peinlich war und am liebsten bekifft gar nicht aus dem Haus gehen wollte (mit 14-20 fand ich es vielleicht noch "lustig", aber irgendwann dann nicht mehr wirklich). Andererseits wenn ich dann was unternahm, ohne zu kiffen, merkte ich, dass ich bereits nach einigen Stunden angespannt war, mein Schweiss roch nach Gras, also quasi sogar kurzfristige Entzugserscheinungen. All das hat dazu beigetragen, dass ich mich immer stärker sozial isoliert habe.
    Nach einigen Monaten Abstinenz merkte ich, dass ich sowohl bekannten und vor allem fremden Menschen gegenüber sehr viel offener war. Wenn mich jemand auf der Strasse anschaute, sah ich nicht sofort betreten auf den Boden. Ich habe einige gute neue Freundinnen gewonnen und auch meine bestehenden Freundschaften mehr gepflegt und den Kontakt zu anderen Menschen genossen.
    Es ist klar, dass wenn man zeitlich, räumlich und emotional nur sehr beschränkt verfügbar ist, nicht viel Raum für zwischenmenschliche Beziehungen besteht. Auch zu meiner Familie (vor allem zu meiner Schwester, Mutter und Oma) hatte ich öfters und tiefgehender Kontakt, der über sporadische Whatsapp-Nachrichten oder 5-minütige Telefongespräche hinausging.
    Ich hatte allgemein mehr Energie und war unternehmungsfreudiger, konnte meinen Alltag sehr viel leichter bewältigen und war auch leistungsfähiger und vor allem effizienter in meiner Arbeit.

    Und all das zusammen sah man mir auch an, ich sah sehr viel frischer aus, fühlte mich verjüngt. Selbst die Gesichtszüge veränderten sich zum Positiven.

    Es kann sein, dass ich irgend etwas vergessen habe, aber die wichtigsten Veränderungen habe ich glaube ich erwähnt. Und das sind ja nicht gerade wenige. Ich muss jetzt erstmal mittag essen, werde aber versuchen heute nachmittag/abend den Erfahrungsbericht zu vervollständigen.

    Bis dahin einen schönen Tag

    saritaverde

  • Hallo saritaverde,

    einige der Veränderungen, die du beschreibst, habe ich inzwischen auch schon bei mir feststellen können. Sie sind jedoch nicht nach so kurzer Zeit der Abstinenz aufgetreten. Die offenere Kommunikation und das den Menschen mehr zugewandt sind für mich auch zutreffend.

    Neulich hat eine Freundin meiner Frau (aus unserer Nachbarschaft) zu ihr gesagt, dass sie gehört habe, wie über mich gesagt wurde: Was ist eigentlich mit Bud passiert? Der sieht in letzter so gut (im Sinne von zum Positiven verändert und nicht mehr so blass mit Augenrändern und so) aus. Meine Frau beschreibt mir auch, dass ich insgesamt ruhiger geworden bin. Waren wir auf Veranstaltungen oder auf Familienfeiern bin ich im Konsum ständig aufgestanden, um eine zu rauchen, habe andere unterbrochen und laufend irgendwelche zynischen Bemerkungen oder ironische (vermeintliche) Witze gemacht. Sprich: Ich habe anderen mit meinen Verhaltensweisen ziemlich vor den Kopf gestoßen und bin ein unruhiger Gast gewesen. Das hat sich schon verändert. Wir haben beispielsweise am Wochenende bei einer gemeinsamen Freundin Silvester gefeiert. Dort wurde sich unterhalten, viel getrunken und auch viel getanzt. Meine Frau hat mir am nächsten Tag erzählt, ich sei der Erste gewesen, der zu tanzen angefangen hat (zu "I will survive" von Cake). Als Konsument habe ich das Tanzen eher vermieden, bzw. immer nur dann, wenn ich schon stärker betrunken war.

    Aktuell habe ich allerdings schon noch meine Probleme. Gestern Abend fing ich wieder aus mir unbekannten Gründen zu weinen an. Meine Frau bemerkt meine Stimmung, bzw. eine Veränderung eben dieser meistens sofort. Ich werde dann wohl übellaunig und mein Gesichtsausdruck wird ihren Worten zufolge ganz melancholisch. Ich habe noch sehr oft schlechte Laune. Insgesamt mag ich mich nach nun fast anderthalb Jahren der Abstinenz einfach nicht mit meinem (abstinenten) Leben arrangieren. Dabei rede ich mir ein, dass es irgendeine große Veränderung geben muss, allerdings bin ich viel zu feige und antriebslos. Welche Veränderung sollte das denn sein? Ich habe keine Ahnung. Auf jeden Fall steht fest, dass sich von alleine nicht das Lebensglück einstellen wird. es bedarf dazu schon ein Handeln meinerseits. Möglicherweise muss ich ja auch nur an meinen Erwartungen etwas verändern. Ich habe nun mal 29 Jahre mein Leben nicht aktiv gestaltet, solange ich konsumieren konnte, war mir eigentlich immer alles recht. Jetzt konsumiere ich nicht mehr und weiß aber mein Leben nicht in die Hand zu nehmen. Deshalb spiele ich auch Lotto. Mit einem fetten Millionengewinn muss ich nichts mehr machen. Keine Verpflichtungen, keine Arbeit mehr. Dann hätte ich endlich meine Ruhe. Auch eine merkwürdige Motivation fürs Lotto spielen.

    Den fehlenden Zugang zu meinen Gefühlen, die jahrzehntelange Verdrängung aller Emotionen kriege ich einfach nicht verarbeitet. Ich weiß überhaupt nicht, was mir im Leben wichtig ist. Sehr frustrierend. Dabei weiß ich oft nicht mehr weiter und komme zum Ergebnis, den Konsum wieder aufzunehmen. Dann mache ich mir diese Gedanken jedenfalls nicht. Nur schiebe ich damit die zu lösenden Aufgaben und das Bewältigen der vorhandenen Probleme einfach nur weiter auf, bzw. vor mir her.

    In dieser Dauerspirale befinden ich mich seit nun siebzehn Monaten.

    Ätzend!!!!

    LG

    Bud

  • Guten Abend Bud,

    da bin ich wieder :), ich bin ganz schön am prokrastinieren... (und dabei kiffe ich doch gar nicht mehr!! haha), nicht natürlich, was Arbeit betrifft, dafür bin ich wahrscheinlich zu deutsch oder von meiner Familie zu sehr gedrillt worden, aber sehr wohl, was meine Selbstfürsorge betrifft (hier schreiben, Tagebuch, Hobbys...habe ich alles momentan etwas vernachlässigt). Und ja, ich hatte am 2./3. Januar wieder einen krassen Allergieschub, richtig fieser Nesselausschlag im Gesicht und am Hals, war richtig anstrengend und das hat mich auch mega runtergezogen, dabei war ich zu Jahresbeginn richtig gut und zuversichtlich gestimmt. Ich habe soweit ich weiss, keine Allergie und hatte auch noch nie Hautausschlag, bis jetzt vor einigen Wochen, und halt jetzt schon wieder. Beim Arzt war ich natürlich auch nicht (ich kümmer mich um alles und alle, nur nicht um mich selbst).

    Betreff Arbeit: Ich habe mein Studium erst mit 28 beendet, aber schon als Jugendliche immer hier und da gejobbt. Dann hatte ich meinen ersten Job, für den ich mich noch nicht mal bewerben musste, weil ich bereits 1 Monat nach Prüfungsschluss angerufen wurde, weil auch eine Kommolitonin dort arbeitete, und die jemanden mit Deutsch, Spanisch, Englisch und Italienisch brauchten. Callcenter: hört sich richtig scheisse an, nicht wahr? Aber es war gar nicht mal so schlecht, das Büro lag 5 Minuten von meiner Wohnung entfernt und die Firma war britisch, daher waren die Konditionen und die Bezahlung für spanische Verhältnisse nicht schlecht. Wir waren ein kleines Team von 12 Leuten mit sich abwechselnden Schichten, also oft nur zu dritt im Büro und es fiel ehrlich gesagt sehr wenig Arbeit an.

    Nach drei Monaten konnte ich nichts mehr dazulernen. Und die leere Zeit verbrachte ich dann mit stumpfem Internetsurfen. Meine Kollegen waren begeistert. Ich nicht. Ich war total gelangweilt und morgens um 7 im Büro antanzen war überhaupt nicht mein Fall. Ein Glück, dass die Firma unsere komplette Abteilung nach 14 Monaten vor die Tür gesetzt hat, alleine wäre ich nämlich nicht so schnell darauf gekommen, zu gehen, bzw. mir etwas anderes zu suchen. Ich habe dann einen Master eingelegt (finanziert mit Arbeitslosengeld, Abfindung und Bafög) und danach den Sprung in die Selbstständigkeit gewagt und es hat zum Glück auch geklappt. Ich bin mit meinem Job als Freelance-Übersetzerin zufrieden und konnte mein anfangs nicht wirklich umwerfendes Gehalt Jahr für Jahr steigern. Darum geht es mit aber gar nicht unbedingt, ich möchte mehr verdienen, um weniger zu arbeiten, also etwas ähnlich wie bei dir mit dem Lotto.


    Seit ich in der Grundschule war, sagten Lehrer und Verwandte, dass ich zur Uni gehen würde... Dann der Krampf, dass alles durchzuziehen und einen vernünftigen Abschluss zu haben... und dann? Dafür? War das schon alles? Ich war enttäuscht. Das ist also das "Erwachsenen"-Leben. Toll, als Belohnung kann ich es mir jetzt immerhin leisten, online zu shoppen (in der Schulzeit/studienzeit ging mein ganzes Geld für Gras drauf). Das Geld und der Wohlstand stopfen die Löcher in der Seele aber auch nicht. Ja, es ist nett, keine finanziellen Sorgen zu haben, aber es reicht nicht.
    Das war wie bei meinem Freund und mir, als wir uns trennten, obwohl wir uns liebten, weil Liebe schön und gut, alleine vielleicht auch nicht für eine glückliche Beziehung ausreicht. - Es ist kompliziert! In meiner Familie (Grosseltern sind in der Nachkriegszeit aufgewachsen) galt immer irgendwie das Motto "Haste nichts, biste nichts, machste nichts, bist du nichts". Ich weiss nicht, ob es typisch für unsere Zeit oder typisch deutsch ist, aber nur haben und machen (im Sinne von "eine vernünftige Arbeit haben") reicht mir zumindest irgendwie nicht.

    Und ich habe es immer noch nicht geschafft, die fast drei Jahre lange Lücke zu füllen! Es fällt mir schwer, mache mir viele Gedanken, ich hoffe, es bald in Angriff zu nehmen.

    Bin immer noch clean :smiling_face: und denke und hoffe, dass diese ganze aktuelle Unruhe langfrisitg positive Veränderungen in meinem Leben mit sich bringen wird. Ich werde berichten.

    Bis dahin LG
    saritaverde

  • Guten Morgen!

    Jetzt bin ich schon knapp 2,5 Monate kiff-frei. Ich bin stolz auf mich und immer noch zuversichtlich, mein Leben nun besser auf die Reihe zu kriegen, aber seitdem ist bei mir zunächst erstmal sehr viel aus dem Gleichgewicht geraten. Um es kurz zu machen: ich habe irgendeine blöde Allergie entwickelt, es ist allerdings noch unklar, was es genau ist. Die Allergieschübe fingen Mitte Dezember an, nachdem ich 10 Tage lang Durchfall hatte. Juckende schmerzende Quaddeln im Gesicht und am Hals, extrem unangenehm. Ich versuchte zuerst, mich selbst zu heilen und schob alles auf den emotionalen Stress, nach dem 5. Schub ging ich dann zum Notarzt und liess mich spritzen. Das war vor etwas mehr als 2 Wochen. Seitdem nehme ich täglich Antihistaminika. Am 24. war ich auswärts essen und schon am selben Tag hatte ich einen neuen Schub, der Tags darauf noch schlimmer wurde. Wieder zum Notarzt, Spritze. Ich habe Urin- und Bluttest Ende Februar (so ist das in Spanien, wenn man nicht privat versichert ist). Bis dahin soll ich auf alles mögliche verzichten. Da ich vermute, auf verschiedene Sachen reagiert zu haben (reifer Käse, Rotwein, Fischkonserven und frischen Fisch), habe ich eine Histaminintoleranz im Verdacht.

    Ich habe seitdem endlich mal mein Zimmer eingerichtet, bin nämlich vor 9 Monaten umgezogen, auf die Insel. Bis Dato hatte ich nur mein Home-Office stehen, um arbeiten zu können. Jetzt fühle ich mich schon richtig wohl hier. Der nächste Schritt wird sein, mich im Februar für Yoga anzumelden, habe eine nette Schule in der Nähe gefunden, wo ich zu Fuss hinlaufen kann. Zugleich möchte ich endlich anfangen, mit dem Auto zu üben. Ich habe 2007 Führerschein gemacht, bin aber ein Stadtkind, brauchte das eigentlich gar nicht. Auch in der Stadt in Andalusien kam ich gut ohne fahren aus. Aber hier fühle ich mich ein wenig am Arsch der Welt, auch wenn eigentlich alles sehr überschaubar ist und sowieso auch sehr paradiesisch ist. Es gibt hier zwar auch Busse, die fahren aber nur sehr selten. In die nächstgelegene "Stadt" brauche ich 30 Minuten zu Fuss. Strände sind aber viele nur mit dem Auto zu erreichen. Auch ein Fahrrad wäre nicht schlecht, aber hier gibt es natürlich keine Fahrradwege und es ist sehr hügelig. Bis vor kurzem machte mir die Idee zu fahren Panik. Ich denke, dass ich jetzt mit klarem Kopf besser darauf klarkommen werde.

    Und obwohl ich mir seit Jahren eine Veränderung wünschte, ist der neue Wohnort wieder ein kompletter Neuanfang, mit dem ich mich noch anfreunden muss. Mein Freund ist hier geboren, für ihn war es also ein Nachhausekommen, für mich ist es fast, als ob ich in ein anderes Land gezogen wäre. Es ist schön, Familie in der Nähe zu haben und seine Familie ist wirklich sehr nett. Aber ich muss aus dem Arsch kommen und mir selbst ein paar neue Bekanntschaften/Freunde suchen und Auto fahren, fühle mich so irgendwie sehr isoliert und irgendwie abhängig.

    Ich würde mich über Geschichten von anderen sehr freuen, es fühlt sich irgendwie eher wie ein virtuelles Tagebuch als ein Forum an.


    Bis dahin LG
    saritaverde

  • Hallo saritaverde,

    schön mal wieder von dir zu hören. Ich hatte schon befürchtet, du hast aufgegeben. Zweieinhalb Monate sind ja schon ganz beachtlich. Sicherlich wirst du das mit deiner Gesundheit auch noch in den Griff kriegen. Bei mir ist soweit alles unverändert. Bin jetzt im 18. Monat Abstinenz. Strebe aber weiterhin noch an, mein Leben zu verändern. Möglicherweise wird es eine berufliche Veränderung werden. Bin mir da noch nicht ganz sicher. Habe mich da noch nicht entschieden. Insgesamt fällt es mir noch immer schwer, Entscheidungen zu treffen. Ich wünsche mir einen (dicken) Lottogewinn. Du würdest dich sehr über Geschichten von anderen freuen. Ich habe meine schon erzählt. Im Moment gibt es ja nicht viel Neues zu berichten, werde hier aber am Ball bleiben. Für mich ist es hier weniger ein virtuelles Tagebuch, sondern eher eine Art Selbsthilfegruppe, da ich sonst an keiner teilnehme. Leider ist hier nur nicht sehr viel los.

    LG Bud

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!