Psychose durch Cannabis-Konsum und der erste Rückfall

  • Hallo,

    ich bin eine Endfünfzigerin, verheiratet und habe 2 Söhne. Der ältere von beiden hat mal sporadisch Cannabis konsumiert, hat aber mittlerweile kein Interesse mehr daran.

    Bei dem jüngeren sieht es leider anders aus:

    Mein Sohn (jetzt 17) hat Anfang 2022 die ersten Cannabis-Erfahrungen gemacht. Mal probiert, es wieder gelassen und dann immer wieder probiert. Regelmäßig wurde der Konsum dann wohl im Oktober 2022 (ich habe davon nichts gemerkt); er hat dann im Dezember 2022 einen ersten (kalten) Entzug gemacht. Danach lief es für 3 Monate wieder gut, im März/April diesen Jahres hat er dann aber wieder zugeschlagen – und diesmal richtig. Die Tagesdosis wurde immer höher (Mitte April habe ich den Konsum das erste Mal bemerkt), bis er Anfang Mai – mittlerweile suizidal - einen Hilferuf startete.

    Er war dann für 3 ½ Monate mit einer Psychose in der Psychiatrie (Intensivstation, qualifizierter Drogenentzug, Tagesklinik). Danach war dann fast alles wieder gut. Das Schuljahr konnte wiederholt werden. Er muss Antipsychotika nehmen, das sorgte für einen Gewichtszuwachs von 20 kg innerhalb von 2 ½ Monaten. Er war durch die Medikamente oder auch den Nachwirkungen der Psychose sehr müde und wenig aktiv. Mittlerweile ist die Medikation umgestellt, es läuft jetzt besser und er ist weniger müde.

    Aber leider kam es Ende November zu einem Rückfall. Obwohl ihn jeder Joint wieder in die Psychose katapultieren kann, hat er wieder konsumiert (wahrscheinlich 4 – 8mal; es ist auch nichts hinsichtlich der Psychose passiert). Wir haben daraufhin sein Zimmer durchsucht, das Cannabis weggenommen, Geld und Kontokarte einkassiert und ihn natürlich ärztlich vorgestellt. Ein erneuter Entzug wurde empfohlen. Diesen hat er auch angetreten, er wird in den nächsten Tagen entlassen werden. Im Moment ist er „clean“, will auch nicht mehr konsumieren.

    Das habe ich aber alles schon einmal gehört…. Ich weiß, es ist eine Suchterkrankung, ich weiß, es gibt Rückfälle (oder „Umfaller“, wie ich im Forum schon gelernt habe).

    Was mache ich denn jetzt als Mutter? Ich kann ihm ja nicht ewig Bargeld vorenthalten. Inwieweit kann/muss ich auf ihn aufpassen? Einsperren kann und will ich ihn nicht. Ich habe den Eindruck, als ob ihm der Ernst seiner Lage hinsichtlich der Psychose nicht wirklich bewusst ist. Und ich habe eine Sch… -Angst. Was kann ich tun bzw. was sollte ich auf jeden Fall lassen? Ich bin hin- und hergerissen….

    Danke fürs Lesen und falls Ihr den ein oder anderen Tipp habt, bin ich sehr dankbar.

  • Umfaller ist natürlich kein Fachbegriff, ich verwende den Begriff normal, wenn es ein ganz kurzer Rückfall ist - vllt einmaliger Konsum oder eben einen Tag ...

    Geht dein Sohn aktuell weiter zur Schule?

    Ist die Gewichtszunahme, welche schon in der kurzen Zeit extrem ist, weiter medizinisch untersucht?

    Um ehrlich zu sein, eigentlich kannst du als Mutter und Vater kaum was machen. Langfristig wird es nur werden, wenn er selbst versteht, dass es für ihn besser ohne Cannabis wäre. Hierbei ist auch zu überdenken, je mehr nun für ihn verboten wird, umso mehr wird er sich vermutlich abwenden.

    Meiner Meinung kann man immer nur sagen, wir lieben dich und haben wirklich Angst um dich!

    Er ist fast volljährig, man kann also nur Hilfe anbieten, ohne weitere Drohungen und Konsequenzen .

    Habt ihr schon mal an einer Wohngruppe gedacht? Natürlich eine betreute WG ...

    Was sagt der große Bruder dazu? Wie ist deren Verhältnis?

  • Hi Franz,

    geplant ist, dass er nach den Ferien wieder in die Schule geht. Die Leistungen dort sind so lala, aber er muss bis zum Sommer nur die Versetzung schaffen, d.h. Noten sind im Moment nicht so wichtig.

    Die Gewichtszunahme beruht auf verstärktem Essen (man könnte es auch Fressen nennen) nach Olanzapin-Gabe Mit dem Wechsel auf ein anderes Antipsychotikum hat er jetzt wieder 3 - 4 kg weniger; die Umstellung war Ende Oktober - Mitte November. Er wird regelmäßig der Psychiaterin und auch dem Kinderarzt vorgestellt; die Laborwerte sollten regelmäßig geprüft werden. Sein Bestreben ist es, die Medikamente auch irgendwann wieder auszuschleichen. Dies kommt aber vermutlich erst im Sommer in Betracht.

    Wir haben übers Jugendamt eine Einzelfallhelferin an die Seite gestellt bekommen (läuft allerdings erst seit Ende Oktober); außerdem geht er regelmäßig (alle 2 Wochen) zum Psychotherapeuten seit der Klinikentlassung Ende August.

    An eine Wohngruppe habe ich schon mal gedacht - würde ihn aber gerne lieber zuhause behalten.

    Das Verhältnis zwischen den Brüdern ist schwierig; sie haben nicht viele gemeinsame Interessen.

  • Hallo seagull,

    ich muss erst mal sagen, dass ich es super finde, dass ihr euren Sohn unterstützt und ihm aktiv mit seiner aktuellen Situation helft.

    Gerade in psychotischen Phasen ist so eine familiäre Unterstützung sehr nützlich!

    Auch dass du so ein Verständnis hast und versuchst es auch weiter zu haben find ich super!

    So wie ich das hier lese machst du/macht ihr ganz viel schon richtig.

    Dennoch höre ich auch eine Verzweiflung bei dir und möchte dir daher ein paar Möglichkeiten nennen.

    Kurz zu mir: Ich gehöre zu einem Team professioneller Sozialarbeiter*innen, die aufsuchend im Netz unterwegs sind. Dabei versuchen wir unterstützend und beratend zur Seite zu stehen, im Besonderen zum Thema Sucht und Konsum. Unser Angebot ist selbstverständlich kostenfrei und anonym.

    Nun zurück zum Thema: Mein erster Impuls beim Lesen war, ob nicht eine stationäre Therapie für deinen Sohn hilfreich wäre - er war ja schon in Behandlung. Besteht bei ihm Bereitschaft für eine weitere? In Therapieeinrichtungen, gerade für so junge Menschen wie deinen Sohn, kann die Abstinenzmotivation und auch das eigene Risikobewusstsein erhöht werden. Außerdem werden dort auch Gespräche mit Angehörigen und den Patient*innen geführt, was auch dir helfen könnte. Diese Therapien sind therapeutisch wesentlich umfangreicher (auch zeitlich -> normal ca. 22 Wochen) als während Psychiatrie-Aufenthalte.

    Einrichtungen gibt es deutschlandweit, mit verschiedenen Spezialisierungen. Wenn du da Interesse hast, können wir da gerne noch genauer darüber sprechen.

    Was ich auch gut finde ist, dass du ihm die finanziellen Mittel aktuell nicht zur Verfügung stellst – wenn die Situation gerade kritisch ist, macht es sicher Sinn, zumindest vorerst das Taschengeld in „Naturalien“ zur Verfügung zu stellen. Das muss ja auch nicht für immer sein.

    Wenn du dich gerne noch weiter austauschen möchtest oder alltagspraktischere Tipps brauchst, meld dich gerne.


    Liebe Grüße

    Hannah vom Team DigiStreet der Drogenhilfe Schwaben gGmbH

  • Hallo Hannah,

    herzlichen Dank für Deinen Kommentar.

    Ja, eine stationäre Reha ist ihm in der Klinik auch nahegelegt worden; das lehnt er aber bisher ab. Beim nächsten Rückfall will er diese aber machen (das habe ich schriftlich). Ich glaube, hier in NRW ist Viersen die einzige Adresse, die so etwas durchführen. Oder hast Du andere Informationen? Da wäre ich sehr interessiert.

    Zur Zeit geht er regelmäßig zur Schule; er hält sich auch weitestgehend an alle Absprachen. THC-Selbsttests führen wir regelmäßig durch, auch die sind bisher negativ. Taschengeld bekommt er im Februar wieder, werden wir dann aber wahrscheinlich wochenweise auszahlen (damit er nicht 50 Euro auf einmal zur Verfügung hat). Zur Zeit lernt er fleißig für die theoretische Führerscheinprüfung, kommt da auch gut voran und will nächste Woche die Prüfung machen. Ich würde mich mit ihm freuen, wenn er da ein Erfolgserlebnis verbuchen kann.

    Ich würde gerne einerseits alles "unter Kontrolle" behalten (und ihn überwachen), weiß aber, dass ich das nicht leisten kann und wahrscheinlich auch nicht sollte. Es ist schwer, einen Weg zu finden, ihm wieder zu vertrauen und mein eigenes Denken nicht ständig um dieses Thema kreisen zu lassen. Wahrscheinlich muss ich lernen, loszulassen. Da suche ich noch nach Lösungen...

    Viele Grüße

  • Hallo seagull,

    ich hab dir mal noch rausgesucht, was ich noch kenne:

    Das ist einmal die Fachklinik Fredeburg - die haben auch ein spezielles Cannabis-Programm und eine spezielles Angebot für junge Erwachsene.

    Therapie für lebensjüngere Patientinnen und Patienten

    oder hier die Salus-Klinik Hürth. Die haben auch eine Abteilung für junge Erwachsene.

    salus Kliniken | Therapiekonzept


    Wie es aktuell läuft, hört sich ja echt gut an find ich! Wünsche euch natürlich, dass es so weiter geht - oft hat Sucht leider keinen linearen Verlauf, sondern Höhen und Tiefen. Trotzdem könnte ich mir auch gut vorstellen, dass ihn der Führerschein dann doch nochmal zusätzlich auch zur dauerhaften Abstinenz motiviert. Denn eine MPU ist wirklich zeit- und geldintensiv.

    Dass du die Ambivalenzen in dir siehst und reflektierst ist auf jeden Fall gut und wichtig. Hier einen Mittelweg zu finden ist sicher schwierig. In Drogenberatungsstellen ist oft auch eine Angehörigenberatung eingebunden. So wie ich das höre ist es vor allem wichtig, dass ihr weiter in so einem Kontakt bleibt und offen miteinander sprecht - da kannst du auch deine Sachen loswerden und ihr könnt euch damit sicher auch wieder annähern was den Vertrauensaufbau angeht.

    Viele Grüße

  • Danke für die Kommentare ...

    klingt für mich so schon sehr nach kontrolle.

    thc tests. schriftliche vereinbarungen... will er das so?

    Hallo lemon, vermutlich wünscht er sich das nicht... Aber da ich zur Zeit sehr wenig Vertrauen zu ihm habe und (noch) erziehungsberechtigt bin, setze ich damit die Empfehlungen der Klinik um. Ich selber habe am allermeisten Angst davor, dass er wieder in eine Psychose gerät und der Verlauf dann nicht mehr so "glimpflich" ist. Was würdest Du in meiner Situation tun?

  • Danke für Deine Tipps, Hannah. Ich habe mir die Seiten der Kliniken angeschaut. Ich hoffe auch, dass es jetzt erstmal gut weiterläuft und er nächste Woche ein Erfolgserlebnis hat.

    Ich versuche, mich nicht verrückt zu machen. Bei der Drogenberatungsstelle hatte ich letzten August ein Gespräch. Das war auch soweit ok, ist aber nichts dauerhaftes. Aber es hilft auch schon, hier meine Sorgen einmal aufzuschreiben.

  • Also mit mir wäre das nicht machbar. Daher habe ich so reagiert. Dass die Klinik das empfiehlt finde ich interessant und gleichzeitig ärgerlich und verwundernd. Für mein Empfinden ist da keine Augenhöhe.

    Wenn ihm das nicht recht ist, würde ich mit ihm gucken und ausarbeiten, was er braucht und was er meint, was ihm hilft für die Abstinenz. Außerdem ihm die Möglichkeit geben von seinem Tag zu erzählen, seine Gefühle zu benennen, Raum geben und validieren (Gefühle sind immer richtig und in Ordnung, Verständnis aufbringen, etc). Im nächsten Schritt noch mal gucken, was er braucht ggf im Umgang mit Situationen, Gedanken und Gefühlen. Vertrauensbasis für euch beide dadurch schaffen. Wenn er mit 17 überhaupt das Bedürfnis hat, Psychohygiene mit den Eltern zu betreiben.

    Vllt kann man das auch erstmal aufbauen und dann ggf die Kontrolle reduzieren.

    Ich habe überlesen, dass er einen Therapeuten hat. Vllt ist es dann auch ok, dass du das mit der Kontrolle machst. Und der Rest dort stattfinden kann.

    Aber irgendwie muss ja euer Vertrauensverhältnis wieder aufgebaut werden.

  • Hallo Zusammen,

    ich will mal ein Update geben:smiling_face:. Es sieht so aus, als ob er immer noch clean ist, d.h. seit Ende November 2023 hat er kein Cannabis mehr konsumiert. So weit, so gut. Inzwischen ist auch nochmal eine ADHS-Diagnostik mit positivem Ergebnis gefahren worden - er nimmt jetzt zusätzlich zum Aripiprazol noch Methylphenidat und kommt damit gut klar. Die Noten (und ich glaube auch die Motivation) in der Schule haben sich im 2. Halbjahr verbessert, nur in Mathe sieht es dunkeldüster aus; die Versetzung wird er aber wohl schaffen. Mein Sohn hat inzwischen seine theoretische Führerschein-Prüfung bestanden und nimmt jetzt fleißig Fahrstunden. Übermorgen ist die nächste Medikamenten-Sprechstunde bei der Psychiaterin - er möchte gerne das Aripiprazol langsam ausschleichen (sie hatte gesagt, dass ein erster Versuch nach frühestens 1 Jahr möglich ist - dieses ist jetzt vorbei) und ich würde ihn dabei gern unterstützen.

    Die Einzelfallhilfe ist inzwischen so gut wie beendet - es gab keine Ziele. Zu seinem Psychotherapeuten geht er weiterhin alle 2 Wochen (wenn auch nicht mit großer Begeisterung).

    Er strebt jetzt zunehmend nach Autonomie (wird im August 18 Jahre alt) und geht öfter auf Parties (auf denen er allerdings wegen der Medikamente keinen Alkohol trinken darf); dies klappt gut und er hält Absprachen weiterhin gut ein.

    Falls Ihr noch irgendwelche Tipps habt, wie wir die Situation weiter stabilisieren könnten, immer her damit :smiling_face:. Er sagt, ich würde ihm immer noch nicht wieder vertrauen - stimmt leider:frowning_face:. Bei mir läuft im Hinterkopf immer noch die Angst mit, dass er doch wieder einen Rückfall erleidet.

  • Hallo seagull,

    das sind ja schöne Neuigkeiten! das freut mich, dass es gerade so gut läuft bei euch!

    Dass du weiterhin Angst hast ist absolut verständlich und das wird sicher auch noch eine Weile bleiben - kann auch ein Vorteil sein, da du so mit allen Sinnen auch wachsam bist und eine Veränderung in seinem Verhalten wahrscheinlich sehr schnell merken würdest.

    Ich finds super, was ihr nun erreicht habt - würde das auch so kommunizieren. Also wertschätzen, was nun schon geklappt hat und was gut läuft und das auch wirklich offen sagen. Außerdem aber auch weiter offen über deine Sorgen mit ihm sprechen. Ich glaube wichtig ist, weiter gut und offen miteinander zu kommunizieren und auch mal ein "was wäre wenn..." miteinander durchzuspielen.

    Also Strategien erarbeiten um entweder im besten Fall einen Rückfall zu verhindern oder eine dauerhafte Rückfälligkeit zu vermeiden.

    • Vereinbarungen treffen (Gegenseitige Offenheit vereinbaren (Rückfall oder Suchtdruck offen kommunizieren - du könntest versuchen, ihm hier die Angst zu nehmen, dich zu enttäuschen etc. und eben weiter an einer offenen Kommunikation arbeiten).
    • Was könnten Möglichkeiten sein, sich bei einem Tief wieder besser zu fühlen (sprechen, Freunde, Sport, andere Aktivitäten,...)
    • Hat er Ideen wie du merken könntest, wenn es ihm schlecht geht?
    • Hat er Ideen wie er dein Vertrauen in ihn wieder stärken könnte?
    • ...

    Sicher wird es auch nochmal Tiefen geben und dann wärs ja super, wenn er dir das offen sagen könnte und ihr gemeinsam nach Möglichkeiten der Verbesserung frühzeitig schauen könntet.


    Weiterhin alles Gute für euch :smiling_face:

    Viele Grüße

    Hannah vom DigiStreet-Team der Drogenhilfe Schwaben gGmbH

  • p.s.: ich möchte gerne noch etwas ergänzen. Wenn du Lust hast, melde dich gerne hier an:

    Beratung & Hilfe
    Online-Beratung
    app.suchtberatung.digital

    Es ist hier zum einen Möglich, Beratung zu bekommen.

    Außerdem gibt es spezielle Tools für Angehörige (z.B. Tagebuch, positives Wahrnehmen Lernen, Elternfragebogen,...).

    Solltest du das machen, schreib in die erste Nachricht einfach kurz, dass du bereits Kontakt zu Hannah über SuS hattest, dann wissen wir Bescheid und ich kann dir die Tools frei schalten (du kannst auch wählen ob ich die dann sehen und kommentieren darf oder nicht).

    VG
    Hannah

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