ständig diese Vorurteile - ich bins leid

  • inzwischen erzähl ich Leuten, die ich besser kenne wenn sichs ergibt dass ich ne Essstörung habe. Die Leute machen mich jetzt deswegen nicht runter, aber es kommen ständig dumme Vorurteile, blöde Ratschläge, blöde Fragen....
    Letztens hab ich ner guten Freundin erklärt dass ich zur Zeit wieder ziemlich mit der Sucht zu kämpfen habe; öfter Fressanfälle habe obwohls mir äußerlich eigentlich gut geht. da kam dann "das liegt vielleicht auch am wetter, zurzeit ist das ja nicht so toll" - da war ich schon wieder ziemlich enttäuscht von.
    "Fressanfall" heißt mit Herzklopfen in den Supermarkt, 2 Brötchen, 1 Brezel, 3 Packungen Kekse, 2 Tafeln Schokolade, 4 Schokoriegel und ne Flasche Cola kaufen, sich an der Kasse schämen weil man so viel scheiße kauft und man das Gefühl hat, das einen alle anstarren und genau wissen was los ist, draußen direkt die erste Packung aufreißen, das Zeug auf dem Heimweg runterschlingen, sich in der Bäckerei aufm Weg noch 2 Schokoriegel, Kuchen, Muffin und Schokocroissant kaufen und bis man vor der Haustür steht weiteressen, hoffen dass die Nachbarn einen nicht sehen, im Zimmer weiteressen bis einem fast übel ist und man das Gefühl hat der Bauch platzt gleich und man sich hinlegen muss weils sonst eifnach zu weh tut, beim Kalorienzusammenrechnen anfangen zu heulen und sich zu fragen wie man nur wieder so blöd sein konnte, versuchen zu kotzen, merken dass es nicht geht und zu wissen dass man entweder 2kg zunehmen wird wenn man nicht 4 Tage GAR NICHTS mehr isst, heulend im Bett liegen, und die letzten Schlaftabletten zu nehmen die man noch hat, weil man s einfach nicht mehr anders aushält, vor dem eigenen Versagen zu stehen, unfähig zu sein mit dem Leben klarzukommen, fett zu werden und eifnach NIE; NIE normal sein zu können...


    und das alles soll ich machen weil's grade 2 Tage geregnet hat????

    oder letztens mein Vater als ich erzählt hab ich komm mit dem Essen nicht klar: "sei doch nicht so streng zu dir, das ist doch nicht das Wichtigste im Leben, unternimm doch mal was schönes und freu dich dass die Vögel so schön singen..." - ja, so einfach ist das Papa...

    ich weiß ja das sowas nicht bös gemeint ist, aber es tut schon weh dass man selbst total verzweifelt ist, und die anderen es einfach nicht verstehen....

    selbst wenn ich mal den Mut und die Kraft aufbringe, die Dinge so zu schildern wie sie sind, was echt schmerzhaft ist weil es weh tut über die Scheiße zu reden und sie dabei nochmal neu zu erleben, dann glauben mir viele gar nicht bzw. denken ich übertreibe...

    ich würd mir manchmal fast wünschen ich wär heroinsüchtig, da weiß jeder die hängt an der spritze und wenn sie nicht alle paar stunden nen schuss setzt kriegt sie n turkey - da kommen dann auch keine dummen fragen/ratschläge.
    das problem ist glaub ich dass die leute ihre eigenen erfahrungen mit "Suchtmitteln" auf mich übertragen, sie denken ich würd halt gelegentlich mal so wie sie n stück kuchen zu viel essen und mich hinterher drüber ärgern...

    wie geht man mit sowas um? Holzhammermethode und jedes ekelhafte Detail wie man frisst und kotzt schildern damit die Leute mal checken was Sache ist, oder ne Broschüre in die Hand drücken und hoffen dass sie sie lesen oder lieber doch alles für mich behalten?

  • Also ich denke schon, dass es den meisten Menschen einfach nicht klar ist, was es wirklich bedeutet eine 'Essstörung zu haben! Wahrscheinlich besteht da einfach ein Kommunikationsproblem, wie du schon geschrieben hast, man geht einfach von den eigenen Gewohnheiten aus und versteht beispielsweise unter Fressanfall etwas ganz anderes als Betroffene. Und wenn unsereins dann Details berichtet, dann klingen die unglaubwürdig - einfach weil Außenstehende sich das so schwer vorstellen können.

    Wie man das allerdings begreiflich macht ist wahrscheinlich unterschiedlich. Kommt natürlich auf dich persönlich an, welcher "Typ" du bist, das heißt, ob dir deutliche Aussagen mehr liegen, oder ob du deinem Umfeld lieber eine generelle Information geben willst ohne Details von dir preiszugeben.
    Ich persönlich würd' irgendwann anfangen deutlich zu sagen, dass sie nicht so 'n Mist erzählen sollen und zum Beispiel erzählen, wie so ein Fressanfall aussieht. Natürlich auch dazusagen, dass ich das Gefühl habe nicht ernst genommen zu werden und dass meine Krankheit von ihnen runtergespielt wird. Und dass es - mir persönlich - lieber wäre, dass sie gar nichts dazu sagen, als solche Sprüche abzulassen, weil die eben zusätzlich verletzend sind.
    Aber wie gesagt, das ist wahrscheinlich bei jedem anders - was dir besser liegt, das musst du für dich rausfinden.
    Gibt ein paar gute Broschüren, die aussagekräftig sind und klar darlegen, worum's bei Essstörungen geht. Oder Internetseiten. Es gibt auch diverse Anlaufstellen für Betroffene und da sind in der Regel auch betreute Gespräche mit Angehörigen möglich, sodass ein Außenstehender zwischen einem Betroffenen und einem Nicht-Betroffenen vermitteln können. (Sowas ist wahrscheinlich bei dir dauerhaft nahestehenden Personen wie Familienmitgliedern hilfreich)

    Is' 'ne schwere Sache, deinen 'Wunsch', dass das Umfeld mal direkt drauf aufmerksam wird und checkt, dass dein Problem größer ist, als sie vielleicht meinen - ja, das kann ich gut nachvollziehen. Denke oder dachte ich mir auch schon desöfteren.
    Aber eine Lösung ist das natürlich nicht - Sondern an diese Stelle gehört Aufklärungsarbeit!

    Bei welchen Menschen wäre es dir denn wichtig das Ganze besser verstanden zu wissen? Vielleicht wäre es ja bei unterschiedlichen Personen auch besser unterschiedlich an die Sache ranzugehen? Ich meine, mit manchen Menschen sind Gespräche möglich und hilfreich, Anderen könntest du vielleicht auch eher in einem Brief oder Ähnlichem genau das schreiben, was du oben geschildert hast (wie so ein Fressanfall aussieht etc.)... Wie gesagt, du musst natürlich auch immer schauen, was für dich möglich und machbar ist.

    *Laber-Modus aus* :winking_face:

  • Zitat

    und das alles soll ich machen weil's grade 2 Tage geregnet hat????

    Solange du es ihnen nicht erklärst, kannst du nicht erwarten, dass dein Umfeld sich mit deiner Erkrankung auskennen muss. Ich bin sicher, du hast auch nicht Medizin studiert, um Bescheid über alle Krankheiten der Menschen zu wissen, die du kennst. Also verlange das Wissen auch nicht von anderen Personen.

    Zitat

    ich würd mir manchmal fast wünschen ich wär heroinsüchtig, da weiß jeder die hängt an der spritze und wenn sie nicht alle paar stunden nen schuss setzt kriegt sie n turkey - da kommen dann auch keine dummen fragen/ratschläge.

    Wie kommst du darauf, dass man als Heroinabhängiger keine (teils auch dämliche) Ratschläge bekommt? Das versteht doch eigentlich auch kaum jemand, der selbst nicht betroffen ist oder war.

    Weisst du Slania, der Grund für deine Erkrankung (Sucht) ist immer der gleiche, egal ob du essgestört bist, Drogen nimmst oder vielleicht Alkoholikerin bist.

    LG, alive

  • Hallo Slania,

    ich verstehe was du meinst. Ich merk sowas auch immer wieder. Und ich stimme Fibra und alive voll und ganz zu. Es ist nun mal so das die Menschen nicht genügend Wissen über Erkrankungen wie Essstörungen, Drogensucht mitgeteilt bekommen und somit das Verständnis nicht so da ist. ich denk es ist auch schwerer sich in psychische Erkrankungen reinzudenken als wie z.B. Krebs. Allein schon, wie du sagtest, spielt ja schon das äussere Erscheinungsbild eine Rolle. Deshalb ist es wichtig, wenn du Verständins und Hilfe erwartest, das du dich genau mitteilst, weil man ja auch so von aussen keine Erkrankung oder einen schlechten seelischen Zustand sieht.
    Leider können wir Menschen keine Gedanken lesen...Aber ich weiss natürlich auch, wie schwer es ist darüber zu reden. Ich kenn diese stummen Hilferufe und die Enttäuschung wenn sie nicht erkannt werden.

    Und ich kann dir auch als ehemals Heroinsüchtige sagen, das ich genügend

    Zitat

    dummen fragen/ratschläge.

    bekommen habe, also, bitte keine Vorurteile:) aber genau das ist das was ich meine mit dem äusseren erscheinungsbild. "Heroin--->Spritze" und schon sieht man, aha, der ist krank. tja aber leider ist man noch lange nicht geheilt, wenn man diese spritze nicht mehr benutzt,und wieder gesund aussieht....

    LG pInK

  • Ich glaube, es ist zum Teil auch Hilflosigkeit, die andere solche Sachen wie "es ist das Wetter" antworten lässt. Ich steht oft vor Situationen, in denen mir Leute schwierige Dinge erzählen und ich dann etwas antworten muss. Doch woher soll ich wissen, was der andere gerne als Antwort hätte? Was würdest du gerne als Antwort hören wollen?
    Meistens gibt es keine richtige Antwort. Wenn man hört, dass es einem Freund oder einer Freundin schlecht geht, möchte man der betreffenden Person helfen und einen Ratschlag geben. Warum sollte sie es sonst auch erzählen, wenn sie nicht wenigstens eine Reaktion haben möchte?! Weiß man allerdings nicht, was man sagen soll, antwortet man meist mit Belanglosigkeiten oder versucht es Abzuwiegeln. Gar nichts zu sagen, kommt meistens als Desinteresse an. Das ist eine sehr schwierige Situation für beide, Betroffene und Außenstehende.
    Du kannst nur versuchen, es den Leuten zu erklären. Das ist schwierig, aber nicht unmöglich und sei dir gewiss, jede Sucht oder psychische Erkrankung sorgt für Unverständnis. Wenn ich jemandem erzähle, dass ich jahrelang damit kämpfen musste, nicht in einer Kurzschlussreaktion von einer Brücke zu springen, versteht's keiner und reagieren genauso mit Unverständnis oder werfen mir noch vor, ich sei undankbar und egoistisch. Erkläre ich es ihnen aber, kennen die meisten ähnliche Situationen (auch wenn sie nicht gleich suizidal geworden sind). Jeder Mensch kennt Fressattacken, aber auf unterschiedliche Art und Weise. Wenn du versuchst es ihnen als Extrem des Normalen zu erklären, werden sie es viel eher verstehen. Gib deiner Umwelt Zeit, sich damit anzufreunden und es zu verstehen. :smiling_face:

    Aber ein großes Lob, dass du es nicht versteckst, sondern versuchst darüber zu reden.
    LG, Würmchen

  • Zitat

    jede Sucht oder psychische Erkrankung sorgt für Unverständnis.

    Den Satz finde ich gut. :top:

    Als ich von meiner Therapie heimkam, war ich total euphorisch. Dachte, ich müsse jetzt die Verwandten und Bekannten über Alkoholismus und überhaupt Sucht im Allgemeinen aufklären.
    Hab' im meinem Umfeld Leute beobachten, die mehr als normal tranken, und wollte einschätzen, wie weit die auf der Skala schon sind.
    Nun, ich war 1/2 Jahr unter einer Käseglocke. Tagaus Tagein nur dieses Thema. Plötzlich wurde ich wieder auf die Welt losgelassen. Dieses Thema, mein Thema mit dem ich mich Monate auseinandergesetzt hatte, existierte auf einmal nicht mehr. Jedennfalls nicht in diesem Ausmaß.

    Kein Mensch hat sich dafür interessiert. Warum sollten sie auch ? Es ist mein Ding. Ich muß mich damit auseinander setzen, ich muß damit klarkommen.

    ... und ich muß gestehen, ich kenne die Unterschiede auch nicht, was welche Eßsucht für eine Bezeichnung trägt. Da ich weiß, was es bedeutet zu saufen bis es mir bei den Ohren wieder rauskommt, bzw. die Kotzattacken jeden Morgen, kann ich in etwa nachempfinden was du fühlst. Nur, wer das nicht mitgemacht hat, tut sich schwer zu begreifen, wie sich ein Mensch soetwas antut.

    Solche Gespräche haben, wie Wattwurm schon schreibt, einen Touch der Hilflosigkeit und den "Nicht-verstehen-können". Beinahe so, als würde jemand versuchen, mir die Relativitätstheorie zu erklären.
    Ist bestimmt nicht mal böse gemeint.

  • ihr habt ja alle recht, ich erwarte vielleicht zu viel. ich finds ja auch irgendwie schön wenn die leute sich um einen sorgen und kümmern wollen - aber da kann man doch auch einfach mal fragen stellen anstatt gleich mit der eigenen festen überzeugung zu kommen worans liegt.
    so wie bei jedem amokläufer der schützenverein und die böse musik "schuld" sind, isses bei der ES Magermodels aufm Laufsteg und ne Diät.
    und die Ratschläge könnten sich die Leute echt mal verkneifen, ich mach ja ne Therapie und halt mich lieber an das was der Therapeut mir empfiehlt.
    Kann sein dass man erst wenn man selbst süchtig ist, ein Feingefühl dafür entwickelt, wie man reagiert wenn man mit sowas konfrontiert wird. Ich kann mir allerdings auch nicht vorstellen dass ich bevor ich den scheiß hatte, Leuten die mir ihr gebrochenes bein zeigen geraten hätte den Gips abzumachen damit Luft ans Bein kommt o.ä.


    Zitat von alive;93580

    Wie kommst du darauf, dass man als Heroinabhängiger keine (teils auch dämliche) Ratschläge bekommt? Das versteht doch eigentlich auch kaum jemand, der selbst nicht betroffen ist oder war.


    naja, heroinsucht ist halt ne Sucht mit ner richtigen droge und starken körperlichen entzugserscheinungen, ich denke bei sowas ist den leuten eher klar, dass das nicht "och, ich geh jetzt gleich auf party, da zieh ich mir noch vorher eine rein damit ich gute laune hab"-sucht ist.
    was kriegst du denn so für Ratschläge? "pass bloß auf dass die spritzen sauber sind" oder "versuch dich doch mal abzulenken indem du ein schönes bild malst"?

    Zitat von alive;93580

    Weisst du Slania, der Grund für deine Erkrankung (Sucht) ist immer der gleiche, egal ob du essgestört bist, Drogen nimmst oder vielleicht Alkoholikerin bist.
    LG, alive


    das stimmt... wenn man ne Knacks hat, dann findet man auch n Ventil dafür; ob das jetzt Essen, Saufen, Spritzen oder Joggen ist...

  • Richtig, denn von allem kann ein Süchtiger abhängig werden. Die Gefahr besteht leider immer, weil wir Probleme mit Abgrenzung haben. Wir erkennen sehr schwer, wann wir dabei sind, zu weit zu gehen.

    Slania, diese Tipps bekomme ich mittlerweile zum Glück nicht mehr, weil ich schon einige Zeit clean bin, aber früher waren sie u.a. wie du gesagt hast. Gern kamen Menschen dann mit der Vernunft an ala "aber das ist doch so gefährlich". Als wenn das 'nem Abhängigen nicht klar wäre *Augen roll*

  • Hi Du,
    also wenn ich Deinen Beitrag lese fällt mir auf wieviel Wut darin enthalten ist. Allerdings habe ich den Eindruck das sich diese Wut hauptsächlich auf Dich selbst bezieht und gar nicht mal so sehr auf die tollen Ratschläge. Ich denke, auch wenn ein Ratschlag oft lieb gemeint ist....in dem moment hält man dem anderen vor Augen das er offensichtlich nicht alleine mit einer Situation klar kommt, kein so tolles Gefühl. Vielleicht wird darum auch versucht das ganze mit "naja, soooo schlimm ist das ja alles gar nicht" abzuwiegeln, man möchte ja auch nicht das der Gegenüber sich noch schlechter fühlt. Du hast recht, oft ist es gut einfach die Klappe zu halten, aber würde es Dir besser gehn wenn Dich alle ignorieren würden? Ich war Tablettensüchtig, und mir wurden dann auch so tolle Tips gegeben wie: nehm Dir nen Kaugummi wenn Du ne Tablette nehmen möchtest...oder aber: also ich hab ja gelesen das man von dem und dem Medikament gar nicht süchtig werden kann...ganz toll auch die Aussagen: also die Freundin meines Schwagers um 42359 Ecken hatte auch mal "so ein Problem". Sicher, man ärgert sich über solche Aussagen, entweder man ignoriert sie, oder macht dem anderen klar um was es tatsächlich geht. Und wenn derjenige es nicht wenigstens versuchen möchte mit nachvollziehn, wie wichtig ist dann diese Person für Dich?

  • hm, wut über mich selber hab ich eigentlich immer - aber es ärgert mich auch ungemein wenn diese blöden ratschläge kommen, weil mir dabei unterstellt wird ich würde mein problem nicht ernst genug nehmen - denn sonst hätte ich ja schon alles durchdacht/ausprobiert.
    das schlimme ist ja gerade, dass echt von JEDEM sowas kommt - bis auf einen der selbst betroffen ist hat bisher wirklich jeder so kram wie "ja wenn du nix isst dann ist doch klar dass du heißhunger kriegst" oder "der körper braucht halt die nahrung und fordert sie ein" von sich gegeben.
    und ich glaub nicht dass ich sauer bin wenn mir jmd vor augen hält ich würde nicht klarkommen - das ist offensichtlich und mir selbst sehr wohl bekannt, da erzählt mir ja niemand was neues.
    was mich allerdings wütend macht; dass ich mit solchen situationen immer noch nicht klarkomme... inzwischen sollten solche reaktionen mich doch vollkommen kaltlassen, aber mich zieht das immer noch ganz schön runter, weil ich insgeheim doch auf verständnis hoffe.

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