Was ist für Euch ver-rückt?

  • Hallo alle miteinander. Bevor ich meinen Therapiebericht schreibe, hier mal einige Fragen:

    Mit meinem Therapeuten hatte ich heute das Thema (es hat sich so ergeben) was eigentlich "verrückt" ist und ob ich mich dafür halte. Klar sagte ich, ich war in einer Psychiatrie, habe mit den Nerven, da ist man verrückt, irre. Da hab ich so meine klare Meinung von mir. Jedenfalls bin ich nicht normal, sonst hätte ich die ganzen Schwierigkeiten nicht. Ich weiche ganz schön von der Norm in der Gesellschaft ab. Aber wer erstellt die Norm, was ist die Norm? Ich kann nicht mehr arbeiten, für mich ist das nicht normal. Wenn ich wegen einem Rückenleiden nicht mehr arbeiten könnte, das wäre für mich wieder normal. Das ist greifbar.
    Wir einigten uns dann, dass ich nicht am Kopf hab, sondern meine Psyche erkrankt ist. Doch was ist die Psyche, die Seele? Könnt ihr mir das erklären? Was sagt ihr dazu, sind wir verrückt? Wie kann man eine gebrochene Seele eingibsen. Nun haltet mich nicht für verrückt, weil ich sowas frage. Es ist mein voller Ernst. Meiner Ex-Schwiegermutter war ich immer peinlich. Einen Verrückten hätte es in ihrer Familie noch nie gegeben, aber das ist auch klar, bei meinem Elternhaus, kann nur was verrücktes herauskommen. Ich bin ganz durcheinander. Lg. Tine und einen schönen Abend

  • Nun Tine,

    ich denke das Wort verrückt hat einfach mit der Zeit eine andere Bedeutung bekommen, bzw einen fiesen Beigeschmackt.
    Aber was heißt es denn?
    Wie du schon geschrieben hast ver-rückt. Etwas ist nicht mehr im Gleichgewicht, sonder an eine falsche Stelle gerrückt.

    Die Seele eingibsen, an sich ne gute Idee. Aber was hätten wir davon. Damit würden wir sie nur von der Außenwelt abschiermen. Doch die Seele sollte weiter funktionieren. Funktionieren um zu lernen.
    Und auch wenn sie humpelt, lernt sie dazu und lernt irgendwann wieder gehen.
    Damit die Teile die aus der Position gerrückt sind, wieder zum gewohnten Platz kommen.

    Ein paar Gedankengänge von mir
    Zyna

  • Hi,

    "verrückt" ist in unserem täglichen Sprachgebrauch ausschließlich negativ besetzt, deshalb habe ich das Wort aus meinem Wortschatz gestrichen. Wenn ich von dem spreche, was ich noch nicht hinbekomme, dann rede ich von "vorübergehenden Defiziten". Umgekehrt betrachtet kenne ich niemenden, der als Maßstab für "normal" geeignet wäre. Wenn ich mich in meinem Freundes- und Kollegenkreis umsehe, dann ist da niemand, der nicht irgendeine Macke mit sich herumtragen würde. Trotzdem halten die sich fast alle für "normal", weil sie bisher mit ihren Macken gut leben konnten und noch nie gezwungen waren, sich damit auseinanderzusetzen.

    Das ist der einzige Unterschied zwischen den anderen mit ihren Macken und mir: mein Defizit führte dazu, daß ich im Alltag nicht mehr zurechtkam und Hilfe brauchte. Dadurch wurde mir mein Defizit erst richtig bewußt - im Gegensatz zu den anderen, die ihre Macken meist nicht einmal spüren. Daß mir mein Defizit bewußt wurde brachte mich dahin, daß ich mich selbst als "verrückt" ansah. Doch ist eine viel zu negative Selbstsicht. Solange ich meinen Alltag bewältige, da bin ich noch lange nicht verrückt. Ich schlage mich nur mit meinen Macken herum, genauso wie die anderen Menschen auch - das ist eben normal.

    und noch zu deinem posting:

    Zitat

    [...]Wir einigten uns dann, dass ich nicht am Kopf hab, sondern meine Psyche erkrankt ist. Doch was ist die Psyche, die Seele? Könnt ihr mir das erklären? Was sagt ihr dazu, sind wir verrückt? Wie kann man eine gebrochene Seele eingibsen.[...]

    hmmm, ehrliche Antwort gewünscht?
    Das ist eine Ausrede, ein bißchen Wortspielerei, um deine Vorstellungen von "am Kopf hab" mit der Realität zu versöhnen. Die Psyche ist das, was uns ausmacht, das "ich". Warum sollte das nicht erkranken können? Das ist doch nichts schlimmes. Ob es jetzt die Folge von traumatischen Erlebnissen ist oder ein angeborenes Problem im Hirnstoffwechsel, das ist unwichtig. Entscheidend ist, das wir ein wenig anders ticken. Aber, wie oben schon gesagt, das tun die anderen auch. Nur daß wie unser "anders ticken" schwerer wiegen. Vielleicht mußt Du deine Vorstellung von "kranksein" mal überprüfen und dir bewußt machen, daß eine Krankheit der Psyche genauso normal ist wie eine "normale" körperliche Erkrankung.
    Die Frage "was ist die Seele" macht die Sache noch komplizierter, weil sowieso jeder Mensch etwas anderes darunter versteht. Laß sie am besten weg und beschäftige dich lieber damit, daß es nichts schlimmes ist, wenn die Psyche erkrankt, daß das auch "normal" ist. Eine erkrankte Psyche macht dich nicht minderwertig, nur Ausdrücke wie "einen am Kopf haben" tun das.


    Grüße

    det

  • Hi Fritz

    genau, was Du sagst, sagt mein Mann auch immer. Wenn wir manchmal Menschen begegnen, die irgendwas machen, was nicht ganz "normal" ist, dann sagt er immer zu mir: "Schau Dir mal den oder den an und Du gehst zum Psychologen. Das sagt er ganz oft, auch bei den blöden Sendungen im Fernsehen, wo die Menschen ihr Privatleben so preisgeben, dann sagt er es auch. Er findet mich z. B. als ganz normal, nur daß ich krank bin. Er sagt immer, es ist einfach, wenn sich jemand das Bein gebrochen hat, dann kommen alle gerannt und zücken den Stift um sich auf dem Gips zu verewigen. Es gibt aber nichts, was man greifen kann bei unseren Defiziten (ist ein gutes Wort - werd ich so übernehmen). Man kann keinen Namen auf die begipste Seele schreiben und deshalb hält man uns für verrückt. Ich war jetzt bei einem Gutachter wegen der Weiterbewilligung der Rente. In 5 min. wollte die Frau erkennen, ob ich weiter Rente bekomme oder nicht. Sie sagte mir auf den Kopf zu, sie sehen aber gut aus und so erholt, man sieht ihre Angst nicht und wegen dem Bißchen kriegen sie Rente? Ich bin einfach in mich zusammengesackt und konnte nichts sagen. Ich habe mich auch schon bei der Rentenstelle beschwert. Ja, das wäre nun mal so, die Ärzte haben keine Zeit. Sie hätte das nicht so gemeint und und und. in 5 min. wird über mich entschieden, kennt sie mich besser als ich mich kenne. Ist das nicht "Verrückt"

  • Hi Tine,

    ok, guter Anfang. Jetzt denk noch ein wenig über dein Selbstbild nach und darüber, was Du als normal ansiehst. Ich habe die Dezite noch in "vorübergehende Defizite" geändert, weil ich davon ausgehe, daß ich an ihnen arbeiten kann. Es braucht nur Zeit und Geduld. Und damit komme ich zu dem anderen, was ich anknüpfen wollte. Sieh es doch einmal ganz realistisch: in zumindest einem Punkt bist Du viel weniger krank, als Du es von dir glaubst. Du weißt, daß Du Defiite hast, die Du ändern möchtest, das unterscheidet dich von den meisten "normalen". Mir gegenüber im Büro sitzt ein "Normaler", der wirklich schwer einen an der Waffel hat. Er ist ein sehr heftiger Fall von Co-Abhängigkeit, aber er hält sich selbst für völlig normal. Er hat auch mal kurz eine Gesprächstherapie begonnen, aber die Folge daraus, sich selbst als krank anzusehen, hat er nicht ertragen. In der Folge hat er wieder total dichtgemacht und lebt weiter seine Co-Abhängigkeit aus, ohne auch nur darüber nachzudenken, daß er nicht "normal" sein könnte.

    Im Vergleich zu meinem Kollegen bist Du doch mehr als gesund. Du weißt um deine Defizite, Du arbeitest daran, Du möchtest sie ändern. Mein Kollege dagegen hat nur einmal ganz kurz hinter seinen eigenen Vorhang geschaut, hat Angst bekommen vor der Erkenntnis, die da auf ihn wartet, und hat wieder dicht gemacht. Du bist meinem Kollegen meilenweit voraus, weil Du um deine Krankheit weißt.

    Also überdenke noch einmal dein Bild von dir selbst. Streiche Sätze wie "ich leide an ....", "diese schrecklich krankheit" und ähnliches aus deinem Wortschatz. Sieh deine Situation realistisch, daß Du um deine Krankheit weißt und gerade deshalb die Chance hast, etwas daran zu ändern. Viele andere haben diese Chance nicht und halten sich für "normal".

    Grüße

    det

  • Hi Fritz, ich muß da ganz in Ruhe drüber nachdenken, möchte Dir aber hiermit sagen, daß ich Deinen B eitrag gelesen habe und mich darüber freue. Wenn ich den Kopf frei habe, dann möchte ich darauf nochmal eingehen. Lg.Tine

    Du hast mich zum Nachdenken gebracht.

  • "verrückt, krank" ist für die meisten menschen das was sie nicht gewohnt sind, weil es ihnen auf einer gewissen weise Angst macht. für mich bedeutet das nicht verrückt, sondern mutig :smiling_face:

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