Angezapft - eine etwas surreale Kurzgeschichte

  • O´g zapft is


    Khalasch machte die Entdeckung rein zufällig. Während er wieder einmal versuchte, sein Ich in ein amorphes Sein zu transzendieren – diese Übung in angewandter Schizophrenie verschaffte ihm regelmäßig neben universellen Allmachtsphantasien einen harten Schwanz – bemerkte er die undichte Stelle. Es tropfte. Nicht aus ihm heraus, wie er es in diesem Zustand schon einige Male erlebt hatte (vorsichtshalber hatte er diesmal seine Hose vorher ausgezogen), nein, es tropfte in ihn hinein. Mitten ins Zentrum seines geöffneten Geistes fielen die Tropfen der Erkenntnis. Erst vereinzelt, dann immer mehr und stärker. Khalasch hatte eine vage Ahnung, woher der Regen kam, welchem Schoß dieser fruchtbare Tropfenregen entstammte. Doch er musste sich gar nicht bemühen, alle hereinregnenden Tropfen bildeten in seinem Geist einen gewaltigen See – oder zumindest eine Pfütze – in welchem sich ihre Abstammung und Quelle spiegelnd offenbarte: der zirkulierende, erkenntnisschwangere karmische Zeitstrom. Nun wusste Khalasch plötzlich alles. Ein Leck im ewigen Kreislauf aus Zeit, Erkenntnis und Schicksal hatte ihn sehend gemacht. Oder hatte er es selbst herbeigeführt, hatte er den Strom der ewigen Wahrheit angezapft?
    Der gerichtete, lineare und vermeintlich bekannte Fluss der Zeit ist eine Illusion, ein Trugschluss, magisches Theater.
    „Weg mit dem Vorhang“, schrie Khalasch.
    Auf dem See seiner Erkenntnis kräuselte sich eine Welle.
    Es gibt Reinkarnationen! Ahnungen sind Erinnerungen, die Zukunft ist vergangen und offenbart sich quasi reziprok. Die Vergangenheit liegt vor uns. „Vor uns die Sintflut!“
    Das Leck wurde immer größer und Khalasch ließ sich von den hereinbrechenden Strömen der Erkenntnis mitreißen.
    Gefühlte, sinnvermittelte Zeit verläuft entgegengesetzt zur der karmischen Abfolge der Menschenschicksale.
    Beide Drehrichtungen des Kreises mäandern in den galaktischen Schoß der großen Urmutter und aus dieser rosigen Geborgenheit wieder zurück in die Mühle aus Zerstörung und Erlösung, in das Hamsterrad aus Hoffnung und Tod. Wie blind doch die Menschen sind! Sie sitzen in einem Zug und glotzen aus den Fenstern ihres Seins auf irgendwelche physikalischen Ereignisse, die sie mit ihren Walnussgehirnen versuchen in (eine) Ordnung zu bringen. In welche Richtung fährt dieser Zug, wen diese Schienen, auf denen er sich bewegt, wiederum in einem anderen, größeren Zug mit entgegen gesetzter Fahrtrichtung verlegt sind? Und dieser Zug wieder in einem anderen Zug … .
    „Mamuschka, russische Schachtelpuppenmama, wo ist dein Kern?“ Khalasch hatte bei diesem Ausruf das Gefühl, dass er in der Zukunft diesen Gedanken in einem epochalen Werk niederschreiben sollte. Allerdings würde sich dabei eine etwas griffigere Formulierung wie etwa „Was ist des Pudels Kern“ sicherlich besser machen – zumal sein zukünftiger Kollege, Kritiker und Kumpel Frido Schiller vermutlich kleinen, rasierten Hunden mehr zugeneigt sein würde, als hölzernen russischen Muttertieren in Trachtenkleidung.
    Khalasch machte nun seinen Frei- und Fahrtenschwimmerschein: Hitler! Natürlich! Onkel Adolf darf zur Belohnung für seine Endlösung als Proband für die neueste technische Entwicklung an der heiligen Inquisition mitwirken, natürlich nicht, ohne vorher an der Beulenpest und davor in den Kerker des Tower of London elendig krepiert zu sein.

    Dann müsste – nach diversen Hexenverbrennungen und tödlichen Brutalstvergewaltigungen durch die Normannen (hihi, ausgerechnet die blonden Jungs aus dem Norden) – so langsam Adis karmische Schuld gemindert sein, sodass er einer Steinigung im alten Jerusalem gelassen durchs arische Auge sehen müsste. Aber als Khalasch so über Hitler und dessen Schicksalslauf im karmisch-reziproken Zeitstrom nachdachte, war er sich letztlich nicht mehr so sicher, dass Adi nicht auch noch den Abel erschlagen würde – aber vermutlich hatte Hitler dafür nicht die nötigen Eier … .
    Und er selbst? Klar, als jemand, der im 21. Jahrhundert den ewigen Strom der Zeit und der Erkenntnis nicht nur angezapft hatte, sondern auch noch in dieser ultimativen Wahrheitsoffenbarung schwimmen ging, würde er in der vergangenen Zukunft bzw. der zukünftigen Vergangenheit eine Sonderstellung einnehmen. Das Thema „Dichten und Denken“ hatte er sich ja schon fest vorgenommen, danach würde ihm der Sinn nach schaffender Kunst und Naturwissenschaft stehen. Er glaubte sich zu erinnern, dass er in der Vergangenheit – also ca. im Jahr 2463 – die Metarelativität des 11. Terrordynamischen Abstraktionsgesetzes von Beta-Lentauri widerlegt hatte – und zwar induktiv als synthetisch-kybernetisches Urteil a priori. Oder posteriori. Oder beides. Jedenfalls nahm sich Khalasch deshalb vor, nach seinem Leben in der Zeit der Perücken und umwickelten Unterschenkel, den Bart wachsen zu lassen und in römischen Kapellen Hubschrauber und Fallschirme an die Decken zu malen. Oder Abbilder vom finalen Abendbrot. Oder beides. Ob er einen gewissen Schönling namens David aus dem Marmor von Arzano befreien sollte, wusste er auch nicht so genau; jedenfalls war es ihm egal, ob Michel oder Leo heißen würde. Hauptsache Italien. Und dort nicht Canossa, das stand irgendwie fest. Eine Welle schaukelte ihn sanft und Khalasch dachte an seinen Bruder Otto. Hatte dieser nicht bald oder neulich das erste mit einem Müll-zu-Sauerstoff-Transformationsgenerator betriebene Fahrzeug entwickelt?
    Zu Beginn des 20. Jahrhunderts würde man einen revolutionären Motortyp nach ihm benannt haben werden. Hoch leben Otto und sein siamesischer Zwilling im Geiste, Onkel Diesel! Oder lebten? Oder beides? Egal. Fakt ist, dass Bruder Otto schon immer ein guter Mensch mit einem Händchen für den Bau von Fahrzeugen aller Art gewesen ist, war und sein wird. Vermutlich würde Otto in fernen vergangenen Zukunft ein mal auch ein berühmtes Schiff bauen, ganz aus Holz, für einen fahrbaren Zoo oder so ähnlich. Bei aller Bewunderung fand Khalasch Ottos unkritischen Gehorsam seinen autoritären Auftragsgebern gegenüber immer schon scheiße, aber darüber wollte er nun nicht weiter nachdenken.
    Er selbst spielt auf dem nun tosenden Meer seiner transzendentalen Erkenntnisse toter Mann und ließ sich treiben.
    Geh Dabbeljuh Busch verdient sein saures Brot als Malocher im belgischen Kohlebergbau um 1896 und leidet dabei an einer wirklich schlimmen Hörstörung. Sein Tinnitus summt ihm immer die Worte „Dear Mr. President“ ins Ohr, das macht ihn fast wahnsinnig… .
    Mutter Theresa döppt langbärtige Glaubensfanatiker im Jordan unter – weil der Job als Zimmermannssohn in Judäa schon an Ghandi vergeben ist … . Alle deutschen Junkies von 2004 bis 2210 müssen zum Schnee schüppen an die Ostfront und die Giftler von vorher oder nachher , wie man´s sieht, jedenfalls das kriminelle und unnütze Pack aus der Zeit um das Jahr 2000 herum, darf in den schlammigen Gräben der Ardennen darüber meditieren, was Sperrfeuer, Stacheldraht und Senfgas mit Maske doch für eine lustige Melange ist. Zur Belohnung gibt es dann Freificks und Tripper für alle, zuerst als französische Aristokraten des Rokoko, anschließend



    bei den Orgien im alten Rom. Die Erlösung dieser Klientel ist für Sodom, Gomorra und auch Jericho fest vorhergesehen.
    Die vom Mob gehetzte Schar vietnamesischer Zigarettenschmuggel-Scheinasylanten aus Eisenhüttenstadt und Hoyerswerda versohlt demnächst zu J. Hendrix-Sound dem Weltpolizist „Agent Orange“ bei Hanoi den Arsch (Achtung, Charlie auf 3 Uhr, hihi)…
    Che Guevara, Desmond Tutu und Nelson Mandela vollziehen eine karmische Fusion und etablieren am Nil die erste und letzte Hochkultur Afrikas … . David Copperfield siedelt nach Russland um und poppt zwischen seinen Zauberaufführungen nicht mehr Fräulein Schiffer, sondern nennt sich „Rasputin, Fucker of the Russian Queen“ – tragischerweise stirbt er gleich mehrfach, nachdem die gefickte Dame, welche früher als Freddie Mercury mit gewagten Outfits und grandiosem Überbiss für Furore sorgte, herausfindet, dass seine Orgasmen auch nur ein vorgegaukeltes Kunststück der langweiligen Art war.
    Helmut Rahn spielt 1789 in Paris (St. German) und befördert per Hack-Tritt irgendeinen wichtigen gekrönten Kopf in den Korb – 3 Punkte für Frankreich und ein großer Punkt für die Menschheit. André Rieu muss Meister Stradivari die Violinen und auch die Flöte polieren … Ian Anderson befreit um ca. 1600 eine deutsche Provinzstadt von einer Rattenplage … Der Erfinder des Teleporters (um 2300) nennt sich früher oder später Albert Einstein, entdeckt aber 400 Jahre früher – oder später – im Speziellen die allgemeine und noch speziellere Relativitätstheorie und motzt dann mit einem römischen Söldner, er möge doch bitte seine Kreise nicht stören… .

    Erg Selbsterreg, der kühne Vordenker der interstellaren Vorfahrtsregeln von 3069, schreibt ca. 1980 als S. Lem die „Geschichte der Waffensysteme des 21. Jahrhunderts“ und schwört im weiteren Verlauf seines karmischen Werdegangs dem heliozentrischen Weltbild ab … .
    Karl Marx macht sich zum wiederholten Mal Gedanken über das Wesen des Kapitals und kommt zu dem Schluss: „Pantha Rhei“ … Ein gewisser Buddha verkaufte in einer früheren Inkarnation höchst erfolgreich Solaranlagen …
    Plötzlich fühlte Khalasch sich stark auf sich selbst zurückgeworfen. Wo sollte das alles endend werden sein und womit hat es begonnen worden?
    Da überkam ihn die ultimative Erleuchtung wie ein gottgesandter Tsunami und er schrie seinen Plan laut hinaus:
    „Ich werde einen Knoten in diese gottverdammte Schlange machen, dem Adam hau´ ich einen vor den Apfel, dass es kracht und die Eva wird ich poppen bis sie blüht!!“

    Blendend helles Licht erstrahlte, ein völlig in Weiß gekleideter Mann beugte sich milde lächelnd zu Khalasch herab, der Mann in Weiß öffnete seine zuvor geschlossene Faust und hielt ihm nun die flache Hand entgegen.
    Khalasch wusste: nun begegnete er Gott, und Gott hatte in seiner großen weißen Hand eine Gabe für ihn, für Khalasch, den Auserwählten. Für Khalasch, der es geschafft hatte, den ewigen Strom des Wissens und der Wahrheit anzuzapfen.
    Und Gott reichte ihm seine Gabe und sprach:
    „Ab heute kriegst du deine Pillen wieder von mir, Pannemann.“


    ++++++
    erdacht vom Feurigen während eines unfreiwilligen sonderurlaubs auf staatskosten im herbst 2008

  • Du packst zu viel in eins, finde ich. Manchmal verliert sich ganz der Zusammenhang zwischen allem.
    Einzig den Schluss finde ich bemerkenswert gut.

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