2006 hatte ich den ersten Burnout. Was alles dazu führte habe ich nie so richtig aufgedröselt. So wie mein Leben bis dahin verlaufen war, eine Kindheit und Jugend voll Ablehnung durch die Familie, die nachfolgende Sucht, die Angst vor Menschen, die in der trockenen/cleanen Zeit erst richtig zum Tragen kam, das mein ganzes Leben fehlende Selbstwertgefühl ... alles addierte sich und der Zusammenbruch mußte irgendwann kommen. Leider habe weder ich noch meine damalige Hausärztin den ersten BO ausreichend ernst genommen. So kam 2010 ein zweiter Zusammenbruch und der hatte es wirklich in sich. Wie lange die Depression schon da war, das läßt sich nicht mehr klären. Auf jeden Fall bestand der zweite BO aus einer schweren Depression und einem erschreckenden Verlust kognitiver Fähigkeiten. Ende 2010 konnte ich zum Beispiel nicht mehr lesen. Selbst Trivialliteratur war schon zuviel für mich, spätestens nach einer halben Seite wußte ich nicht mehr, was ich bis dahin gelesen hatte. Meine berufliche Fachliteratur war auschließlich in Englisch, da war schon nach zwei Sätzen Schluß mit dem Verstehen. Mein Kurzzeitgedächtnis war bei Null, ich konnte mir eine Zahl nicht einmal für eine Minute merken. Während ich noch in der psychosomatischen Klinik in Bad Zwesten war kam die Nachricht, daß mein Arbeitgeber die Firma dichtmacht. Da half auch der Kündigungsschutz für Betriebsräte nichts, der Arbeitsplatz war weg. Wirkliches Glück hatte ich dann beim Arbeitsamt. Im bekam ein paar Formulare in die Hand gedrückt und wußte sofort, daß ich nicht in der Lage sein werde, die Fragen zu verstehen. Also habe ich dem Sachbearbeiter meine Situation erklärt, meien Unfähigkeit zu lesen bzw so einen Fragebogen zu verstehen und er war so nett, mir alle Fragen zu erläutern und die Fragebogen für mich auszufüllen. In der Folge habe ich noch ein paar Termine verschlampt, bzw. Unterlagen verspätet abgegeben und mir wurde immer geholfen. Wenigstens ein kleiner Lichtblick, wenn ich schon bis zum Hals in der Sch..... sitze. Heute weiß ich, daß ich ohnehin nicht mehr arbeitsfähig geworden wäre, egal wie lange es gedauert hätte. Genau genommen bin ich es bis heute noch nicht wieder.
Die Depression blieb über geraume Zeit bei "schwer" mit gelegentlichen Besserungen zu "mittelschwer". Für fast zwei Jahre bekam ich nicht viel mehr hin, als in meinem Lesesessel zu hocken und die Wände anzustarren. Als die Depression sich ein wenig besserte kam ich wieder für acht Wochen in eine Tagesklinik. Das baute mich zumindestens so weit auf, daß ich mich an einen 1-Euro-Job wagte - mittlerweile war ich bei Hartz IV angekommen. Den Job habe ich gern und nach Aussage meiner Chefin auch richtig gut gemacht, doch leider war nach drei Monaten wieder der Ofen aus. Auf eine feste Tätigkeit, bei der ich jeden Tag 6 Stunden anwesend sein mußte, konnte ich mich nicht mehr einlassen. Trotzdem hat mir diese Tätigkeit geholfen, denn das Kurzzeitgedächtnis kehrte sehr langsam zurück, ich mußte mir nicht mehr alles sofort aufschreiben, um es nicht zu vergessen. Sogar die Einarbeitung in Joomla bekam ich zu meinem eigenen Erstaunen auf die Reihe. Nur leider schwanken meien Fähigkeiten von Tag zu Tag. Einen Tag kann ich ein kleines Programm in C für meine Roboter schreiben, am nächsten Tag schaffe ich nicht einmal eine ganz einfache Dreisatzaufgabe. Das geht jetzt seit fast zwei Jahren so und es geht nur in ganz kleinen Schritten aufwärts und oft genug wieder ein paar Schritte zurück. Immerhin kann ich seit etwa 18 Monaten wieder Trivialliteratur ohne Probleme lesen und nutze das auch ohne Ende aus. Bücher waren in meiner Kindheit mein erstes Suchtmittel und nicht mehr lesen zu können war die Hölle.
Erschreckend finde ich auch, daß ich mich für die Zeit seit 2010 an fast nichts erinnern kann. Ein paar Highlights sind da: die Zeit in der Tagesklinik, der 1-Euro-Job und der Abend, an dem ich meine jetzige Freundin kennenlernte. Doch die Zeit davor und alle "Alltagszeiten" dazwischen sind weg. Manchmal bin ich erstaunt, daß meine Süße und ich jetzt schon seit zwei Jahren zusammen leben. Wenn ich die bewußt erlebten Tage addiere, dann ist da nicht viel. Wenigstens schaffe ich es, die Depression mit ganz viel Achtsamkeit bei "leicht" zu halten. Die Achtsamkeit ermöglicht es, ein drohendes Abdriften fast immer zu erkennen und gegenzusteuern. Vielleicht wird meine Depression sich noch weiter bessern, die Zeit wird es zeigen. Ich mache mir nicht viel Gedanken darum, weil ich mich nicht selbst in eine Erwatungshaltung bringen will. Ich habe schon ein paar mal gehört, daß Depressionen bei langfristig trockenen Alkoholikern nicht selten sein sollen. Vielleicht gehöre ich ja auch dazu.