• Vielleicht ist es an der Zeit, mal eine bzw zwei meiner größeren Sachen anzupacken, zumal ich auch hier jetzt schon mehrfach darüber gestolpert bin...

    Es geht mir nicht um allgemeine Krankheiten, sondern um eine ganz bestimmte. Als Ziel setze ich mir jetzt mal, irgendwann den Namen hier schreiben zu können.

    Was der Tod damit zu tun hat? Man liest Geschichten von Heilung... aber ich habe zu viele Leute in meinem Umkreis daran hinsiechen sehen, um daran glauben zu können, dass man das überleben kann.

    Meinen ersten bewussten Kontakt damit hatte ich als Kind, als meine Oma diesem Fluch zum Opfer gefallen ist. In den 16 Jahren seitdem habe ich auf diese Weise noch 5 weitere mir sehr liebe Menschen sterben sehen, einer davon galt als "geheilt". Eine Person in meinem Umfeld ist seit mehreren Jahren betroffen mit Hochs und Tiefs. Zwei weitere gelten seit kurzem ebenfalls als "geheilt", sind aber noch weit von dieser Fünfjahresmarke (warum überhaupt 5?) entfernt. Und der Vater eines Freundes...da traue ich mich nicht nachzufragen, was daraus geworden ist, mit der Ausrede, ich möchte beim Freund keine eventuell vorhandenen Wunden aufreißen...

    Bei mir besteht seit Oma ein starkes Vermeidungsverhalten, so war ich zum Beispiel bei meiner "Stiefoma" oder meinem Trainer nicht in der Lage, aktiv deren aktuellen Zustand zu erfragen, nicht mal ein "Wie geht's dir heute?" war möglich.

    Grobe Andeutungen in die Richtung dieses Themas sorgen zwar für Unwohlsein, aber ich kann damit umgehen. Je genauer es wird, umso größere Panik löst es bei mir aus und Kontakt mit Erkrankten ist mir nahezu unmöglich, ich kann das einfach nicht. Die Panik wird dann oft auch durch Flashbacks begleitet.

    Gleichzeitig habe ich auch panische Angst insbesondere in Bezug auf meine Mutter und meine kleine Schwester, dass die krank werden. Mit dem Problem, dass ich viele derartige Gedanken"spielereien" habe wahr werden sehen, ohne dass man diese Sachen als selbsterfüllende Prophezeiung bezeichnen kann...

    Paradoxerweise gibt es gleichzeitig immer wieder Phasen, in denen ich mich regelrecht zwanghaft mit diesem Thema beschäftigen muss, Infos raussuchen etc...

    Dass ich selbst für manche Spielarten zur Hochrisikogruppe zähle, beunruhigt mich dagegen irgendwie gar nicht, natürlich versuche ich, das Risiko einzugrenzen, aber da ist eher der Gedanke "Wenn's kommt, ist's halt so, wenn nicht, umso besser".

    Mit dem Tod komme ich auch nicht besonders klar. Oma war damals 59 und seitdem ist für mich 60 irgendwie eine Grenze. Ab 60 ist es ok, wenn die Leute sterben (sofern es nicht an der Krankheit liegt), vorher nicht.

    Als mein Vater vor einigen Jahren für eine OP im Krankenhaus war, musste ich mich überwinden, hinzugehen. Ich hätte ja konfrontiert werden können... der Gedanke, dass ich ungeplant fast die letzte gewesen wäre, die ihn lebend gesehen hat, hilft da auch wenig.

    Mein größter Schritt ist bis heute, dass ich ohne größere Schwierigkeiten an der Palliativstation unserer Klinik vorbeigehen kann, auch wenn ich dabei auf den Boden oder zur anderen Seite gucke. Aber wenn ich pünktlich zum Unterricht kommen will, muss ich halt da lang...

  • Hey!

    Was genau löst denn dann die Panik aus? Dass die Menschen an der Erkrankung sterben könnten? Oder die eventuelle Auseinandersetzung mit dem Tod?

    Meine Mutter unterlag letzten Sommer dem Lungenkrebs mit gerade mal 54 Jahren. Wir Kinder haben sie bis zum letzten Atmenzug begleitet. Seit diesem Tag war es mir bisher nicht mehr möglich nur einen Schritt auf das Krankenhausgelände zu machen. Aber ich gehe seit Monaten zu einer Trauerbegleitung und will dies in ein paar Monaten aktiv angehen, da ich beruflich öfter mal in dieses Krankenhaus muss.

    Und ich denke, wenn man selbst ein höheres Risiko hat, ist es nur menschlich, dass man sich damit beschäftigt. Mein Risiko ist auch höher. Aber ich versuche auch jeden Tag zu genießen und mein Leben so schön wie möglich zu gestalten, damit ich am Ende sagen kann, dass ich trotz allem ein schönes Leben hatte.

  • Was genau die Angst auslöst, kann ich so nicht genau sagen...

    Es ist jedenfalls nicht (nur) der Tod an sich, es gab auch Todesfälle (unter verschiedenen Umständen), mit denen ich recht gut klarkomme.

    Vielleicht ist es eher dieses Dahinsiechen sehen, ich weiß es nicht. Oder das Chaos danach, weitere Familienentzweiungen etc... und teilweise doch auch der Tod selbst, die Lücke...

    Bei den Flashbacks jedenfalls sehe ich in der Regel den letzten Abschied, den ich nehmen konnte, wie meine Oma immer mehr zerfallen ist, die Infusionen, die Ablehnung, die ich ihr entgegengebracht habe, die Verzweiflung meiner Mutter und mein besoffener Opa...

  • Trigger möglich.

    Ich war 10 bei der ersten Konfrontation. Meine Eltern wollten es uns altersgerecht erklären und uns vorbereiten. Aber ich hatte es schon vorher durch Zufall erfahren. Tage vorher, vielleicht waren es auch 1 oder 2 Wochen, ich weiß es nicht genau. Tage alleine mit meinen Gedanken.

    Spoiler anzeigen

    Anfangs war es nicht so spür- oder sichtbar. Da wir allerdings nur in den Ferien bei den Großeltern waren, waren die Unterschiede, die wir mitbekamen, sprunghaft und massiv. Im Sommer noch fast gar nichts, Weihnachten schon jeden zweiten Tag die mobilen Pflegekräfte, Ostern jeden Tag, dazu der immer sichtbarere körperliche Verfall. Pfingsten saß sie im Rollstuhl, den Sommer erlebte sie nicht mehr. Ostern 2004 sah ich sie das letzte Mal, die letzte Phase weiß ich nur durch Telephonate.

    Bei mir zeigten sich erste Paradoxa. Ich liebte meine Oma, von den Großeltern war sie für mich immer die wichtigste Bezugsperson. Die einzige Person, deren Berührungen ich ertragen konnte.

    Und doch entwickelte ich einen Ekel vor ihr, Berührungen oder gar Küsse wurden mir unmöglich bzw. verlangten viel Überwindung und hinterließen dann ein unschönes Gefühl... der Ekel war wohl teils bedingt durch meine Emetophobie, teils durch Ekel vor der Krankheit selbst- ich wusste, sie ist nicht ansteckend, aber trotzdem war da irgendwas-, teils verstehe ich die Ursache des Ekels bis heute nicht. Aber auch er steigerte sich, Dinge, die meine Oma berührt hatte, waren mir zuwider, vom Essen ganz zu schweigen...:ab::11:

    Gleichzeitig liebte ich es, den Pflegekräften zu helfen, besonders zu einer baute ich eine gewisse Beziehung auf, sie ließ mich viel helfen, z.B. beim Infusionen legen, erklärte mir viel, lenkte mich aber auch mit Alltagsthemen ab.

    Das letzte Bild, das ich vor Augen habe, ist, wie sie schlafend oder scheinbar schlafend im Bett liegt, noch schmaler als normal schon. Wir wollen uns verabschieden, müssen nach Hause. Irgendetwas ist anders, ich spüre, dass es ein Abschied für immer ist. Der Ekel ist verschwunden, der letzte Kuss, die letzte Umarmung sind leicht. Ich weiß nicht, ob sie es mitbekommen hat.

    Irgendwann zwischen Pfingsten und Sommer wieder ein Telephonat, das ich zufällig mitbekomme. Diesmal muss ich nicht tagelang warten, meine Eltern sagen es uns am Nachmittag. Ich bin froh, dass sie erlöst ist, aber ich darf nicht froh sein, ich muss trauern. Ich weiß nicht einmal mehr das genaue Datum... :ab:

    Wir bekommen schulfrei für die Beerdigung. Am Tag vorher gehen wir noch aufs Fischerfest, sollen fröhlich sein, am nächsten Tag wieder traurig, aber nicht zu sehr, ich muss ja für Mama da sein... Und dann, von jetzt auf gleich, lachen beim Kuchen alle, die doch gerade noch tieftraurig waren...Was denn jetzt? Niemand erklärt es mir. Und ich frage nicht nach. Es käme keine Antwort.

    Wieder zurück, geht das Leben normal weiter, Oma wird kaum mehr erwähnt, die Photos verschwinden. Weihnachten benötigen wir einen Platz weniger, Opa betrinkt sich Silvester.

    Ich lerne, "damit klar zu kommen". Nach außen hin. Aber seitdem fürchte ich diese Krankheit.

  • Hallo SineVerbis,

    In deiner Erzählung hört es sich so an, als ob du sehr darunter leidest.

    Wie gehst du bist jetzt mit deinen Ängsten um?

    Bist du therapeutisch angebunden?

    Du kannst auch jeder Zeitmit uns Kontakt aufnehmen, über Chat, Mail oder Telefon.

    Alle kontaktdetails findest du im Link in meiner Signatur

    LG Carmen

  • Wie gehst du bist jetzt mit deinen Ängsten um

    Es ist ein eher schwieriges Thema für mich... gerade zur Zeit wieder, da es in meinem engeren Umfeld wieder stark Thema ist... dessen Umgang damit ich durch Vermeidungsverhalten meistens umgehe.

    Wenn das nicht möglich ist, kommen geistige Abkapselung, im schlimmsten Fall SvV... wirklich erwachsener als damals bin ich da wohl nicht...

    Bisherige Therapieversuche habe ich nach wenigen Versuchen abgebrochen und habe u.a. durch meine Erfahrungen damit und mit Menschen allgemein, ehrlich gesagt, wenig Motivation für einen neuen Versuch...

  • und wieder wird es aktuell... keiner weiß was, es kann sein, es kann auch nicht sein... falls ja, dann so viel zu überstanden... die kleine ist so alt wie ich einst... damals... ich finde keine worte für das chaos in mir...


    sie ist mir so verdammt ähnlich... soll jetzt sie ihre geliebte oma verlieren?

    Einmal editiert, zuletzt von SineVerbis (24. April 2020 um 16:15) aus folgendem Grund: Ein Beitrag von SineVerbis mit diesem Beitrag zusammengefügt.

  • Es fällt dir scher dich auf die Therapie einzulassen. Das ist sehr verständlich, wenn man schlechte Erfahrungen gemacht hat.

    Hast du für dich schon Sachen herausgefunden, die dir helefen? Abseits von SvV, Abkapselung , etc.

    LG Carmen

  • Nein, ich habe absolut keine Idee...beziehungsweise... schon, aber die ist nicht durchführbar...:ab:

    Hmmm...Chat würde mir, ohne Garantie, vielleicht leichter fallen als Mails, die ich dann doch nicht abschicke... keine Ahnung...:ab:

  • Wir waren früher regelmäßig bei ihrem Grab, ein Familiengrab... in den Osterferien, im Sommer manchmal auch zweimal, und die Male, wo wir in den Herbstferien bei den Großeltern waren, auch. Im Winter nie. Mein Opa, meine Geschwister und ich. Manchmal auch mit den Cousinen. Mein Bruder und ich haben immer das Wasser geholt, meine Schwester durfte den Weg harken, und wir Kinder durften entscheiden, welche Blumen wo hin sollen.

    Beim Wasserholen und wenn es nicht viel zu tun gab für uns, sind wir oft rumgestreunt und haben nach sonderbaren oder witzigen Namen, auffälligen Daten, Sprüchen und besonderen Steinen gesucht. Meine liebsten waren schwarzglänzende in Buchform, während meine Schwester ein Faible für potthässlich Sandsteinengel hatte. Oder wir haben Verstecken gespielt.

    Vor Jahren schon hat mein Opa irgendwann die Hauptpflege einer Gärtnerei übergeben, wir waren älter, lernten, uns "angemessener" zu verhalten (also nicht mehr zu streunen und zu toben, sondern ruhig zu warten bis alles erledigt war).

    Ich war jetzt lange nicht mehr da, die paar Male, die ich seit dem Abi hochgefahren bin, war die Zeit zu knapp...

  • Elfchen ist offenbar doch nicht so über den Berg, wie zumindest mir gegenüber immer behauptet wurde... in einem so beiläufigen Nebensatz, dass nicht schließbar war, wie es wirklich steht und der aufgrund seiner Nebenbei-Formulierung keine Fragen oder Ähnliches ermöglicht hätte, wenn ich dazu in der Lage gewesen wäre... ich kämpfe, aber mindestens die Nacht wird hart...

  • Könntest du nicht nachfragen und deinem Ärger Luft machen? Wie der Satz gesagt wurde, was du verstanden hast und welxhe Informationen du haben willst?

    Oder denke ich zu naiv?

  • Es ist kein Ärger, nicht wirklich... eher Überforderung mit einem Handeln, das ich verstandmäßig nicht erfassen kann...

    Könntest du nicht nachfragen

    Bin ich nicht in der Lage zu...


    Oder denke ich zu naiv

    Nein, du denkst normal, so, wie es wohl die meisten tun.

    Einmal editiert, zuletzt von SineVerbis (19. Juli 2020 um 06:16) aus folgendem Grund: Ein Beitrag von SineVerbis mit diesem Beitrag zusammengefügt.

  • Es ist kein Ärger, nicht wirklich...

    Ich würde mich ärgern. Ich hab es so verstanden, dass das jemand in deiner Familie gesagt hat. Die wissen um deine Verletzbarkeit und dein Interesse an dem Thema, oder nicht? Selbst wenn nicht, gedankenloses Infobrocken hinwerfen ist eben... gedankenlos. Nicht gesteuert. Und sie können es nicht besser, anders machen, wenn du es ihnen nicht sagst und eben auch genau nachfragst, was du wissen willst oder musst.

  • Genau das ist es: Wie soll ich mich darüber ärgern, wenn sie es durch mein Schweigen nicht besser wissen können?

    Aber zum einen war ich in dem Moment bzw. bin ich auch aktuell zu sehr damit beschäftigt, nicht zusammenzuklappen (es war im Treppenhaus UND vor den Augen meiner kleinen Schwester!), zum anderen sind da auch viel zu viele, über Jahre hinweg verfestigte Mauern zwischen, die sowohl mich als auch mein Umfeld, insbesondere meine Familie schützen sollen... und da ist auch Zwiespalt bei, ob ich wirklich mehr wissen will oder nicht...

    Es mag möglicherweise das kindliche Gedankengut einer Zehnjährigen sein, ja, aber es war auch über Jahre ein gewisser Schutz...

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