Hallo zusammen,
ich lese mich seit ein paar Tagen hier durch und glaube hier am richtigen Platz zu sein um meine Geschichte loszuwerden und in Austausch zu kommen mit Menschen die nicht nur sagen „ich hab’s Dir ja gleich gesagt“ …
Mein Partner und ich, beide Ende 40, sind seit dreieinhalb Jahren zusammen.
Ich habe null mit Drogen am Hut und auch sonst keine Süchte, abgesehen davon das ich rauche, Kaffee trinke und manchmal beim Schokolade essen nicht aufhören kann ehe die Tafel leer ist.
Er ist Konsument seit Kindheit/frühester Jugend. Im Lauf der Jahre hat er wohl alles genommen was der Markt so hergab, hängen geblieben ist er dann hauptsächlich auf Koks und Heroin.
Er hat das volle Programm hinter sich, zig Therapien gemacht, Langzeit, Kurzzeit, freiwillige und staatlich verordnete, manche abgebrochen, manche abgeschlossen, dazu kamen einige Knastaufenthalte. Und er war auch schon mal für längere Zeit im Methadonprogramm zwischendurch, in diesen Jahren auch weitgehend beikonsumfrei.
Als wir uns kennenlernten war er gerade frisch aus Haft entlassen, clean (?) und in einer Einrichtung für „Therapie statt Strafe“ in Woche 3 von insgesamt 12. Ich wusste damals nicht was das überhaupt ist, dachte an ne Reha oder sowas.
Er war von Anfang an sehr offen zu mir, erzählte mir von seinem bewegten Leben aber die Details natürlich erst nach und nach. Ich war also schon von Tag 1 an grob im Bilde, ahnte jedoch nichts vom ganzen Ausmaß. War aber völlig okay für mich, ist kein Thema mit dem man hausieren geht.
Ich bin kein „Liebe auf den ersten Blick“ Mensch. Aber das mit ihm fühlte sich vom ersten Moment an total gut und richtig an, es alles lief ganz selbstverständlich. Sympathie, sich wohl miteinander fühlen und zueinander hingezogen, reden können, lachen können, es war ein harmonisches, unkompliziertes Miteinander. Keiner von uns hat Anfangs Liebe oder Beziehung thematisiert und dennoch führten wir ab dem ersten Kennenlernen eine. Als wärs das normalste der Welt.
Dann kam der Tag, so drei Wochen nach dem kennenlernen, als er aus der Therapie flog.
Er sagte mir damals es sei ne Disziplinarmaßnahme gewesen, Drogen unabhängig. Ich glaubte ihm das auch, weshalb sollte er da lügen wo er doch ansonsten bei allem gnadenlos ehrlich war.
Dieser Abbruch bedeutete zurück in den Knast den Rest absitzen und zwar für 3 lange Jahre.
Das konnte er nicht sofort, schaffte er einfach nicht. Also ging er erstmal „auf Flucht“.
Er wohnte zum Teil bei mir, durchgängig ging das aber meinerseits aus familiären Gründen nicht. So war er zwischendurch auch immer ein paar Tage oder auch Wochen unterwegs. Engen Kontakt hielten wir aber weiterhin.
Und obwohl sich die Umstände so verändert hatten, ich ihn quasi direkt in einer schwierigen, verzweifelten Phase seines Lebens erlebte verloren wir uns nicht. Es ist schwer zu erklären, es war ein Zwischending aus jeder lebt sein Leben und kleine Inseln des Zusammenseins einbauen.
Ich hab ihn damals unterstützt, gar nicht mal durch konkrete Hilfe sondern einfach nur dadurch das ich da war und blieb.
Und in diesen chaotischen Wochen wurde uns beiden immer bewusster das wir uns nicht aufgeben wollen, zusammen sein und bleiben wollen. Und das der einzige Weg der dort hin geht nur der über den Knast sein würde.
In all den Wochen damals hab ich ihn niemals dabei erlebt wie er Drogen konsumierte, allerdings trank er recht viel Alkohol. Nicht bis zum Zusammenbruch sondern eher Spiegel mäßig.
Erklärt hat er es damit das er unter großem psychischen Druck steht. Das nicht clean bewältigen kann. Und dann lieber zu Alk greift statt zu Drogen.
Irgendwann dann war er psychisch so weit sich stellen zu können und trat seine Haftstrafe an, das war ungefähr 4 Monate nach unserem Kennenlernen.
Und wir zogen die Zeit der Haft dann tatsächlich zusammen durch. Es war nicht schön aber auszuhalten. Wir schrieben oft und ellenlang, telefonierten regelmäßig, ich besuchte ihn alle 2 Wochen, und wir wuchsen trotz der räumlichen Trennung und den doofen Umständen kontinuierlich immer weiter zusammen.
Er machte in Haft eine Ausbildung, schloss sie auch erfolgreich ab und bekam, zu unserer Überraschung, nach etwas mehr als 2 Jahren erneut die Chance früher auf Therapie statt Strafe entlassen zu werden. Nach 8-12 Wochen in dieser Therapie würde die Reststrafe dann zur Bewährung ausgesetzt werden. Wir waren happy.
Der Startschuss dazu fiel dann vor knapp einem Jahr, im Juli 2020.
Inzwischen war ich ein Insider geworden, kannte seine Lebens,- und auch seine komplette Suchtgeschichte und und wusste das es kein Spaziergang werden würde. Aber er war sehr klar und schien zielgerichtet, sah kein Problem darin die Zeit der Therapie sauber und gut zu überstehen.
Umso unfassbarer war es für mich das er mir nach 4 Wochen gestand einen „kleinen“ Kokain Rückfall gehabt zu haben. Klein = einmal genommen.
Drogen sind dort scheinbar allgegenwärtig, er bekam häufig angeboten, lehnte ein paar mal ab und irgendwann griff er zu.
Wir redeten danach lange drüber und er entschied sich dafür den Rückfall den Therapeuten offen zu legen. Wohl weniger aus Einsicht und dem Wunsch nach therapeutischer Hilfe sondern mehr um dem Risiko zu entgehen durch ne UK aufzufliegen. Aber gut, er löste die Sache auf, nahm die Sanktionen hin und durfte bleiben.
Die restlichen Wochen dort liefen dann auch glatt und Anfang September wurde er mit Clean Schein entlassen.
Wir zogen danach sofort in unsere neue, gemeinsame Wohnung ein und er gab Vollgas.
Sowohl beim Nestbau als auch dabei seine Dinge zu regeln. Wurde bei der Drogenberatung vorstellig, begann seine Schulden zu klären, nahm Kontakt zur Bewährungshilfe auf, suchte sich einen ambulanten Therapieplatz wo er einmal die Woche hin ging. Alles knifflig und erschwert durch die Pandemie aber er ließ sich davon nicht beirren. Schien entspannt und glücklich und voll motiviert zu sein und betonte das auch immer wieder.
Dann kam, für mich aus heiterem Himmel, wieder ein Rückfall. Es war ungefähr 3 Wochen nach dem Einzug hier.
Ich kam von der Arbeit heim und fand eine Nachricht von ihm das er dem Druck in ihm gerade einfach nachgeben müsse damit er ihn endlich los wird und wieder klar denken kann und er würde sich beeilen, ich solle mir keine Sorgen machen er sei Abends wieder da.
Es klappte nicht so ganz, er trudelte erst am nächsten Vormittag wieder ein.
Ich fand es, klar, alles andere als gut. Aber ich bin strapazierfähig und kann recht neutral mit solchen Ereignissen umgehen. Also ich neige nicht zum Drama sondern gucke eher an was passiert ist und wie man vielleicht was anders machen könnte.
Er reflektierte danach ebenfalls, sprach davon das es nicht so einfach für ihn sei nach der langen Haft im neuen Leben anzukommen, was ich durchaus verstehen konnte. Und es wirkte auf mich so als sei der Vorfall zwar Mist aber unterm Strich sogar positiv zu verbuchen da er danach wieder deutlich auf dem Schirm hatte was er nicht will.
Drei Wochen später folgte dann der nächste Rückfall.
Dieses Mal heftiger, er hatte früh einen Termin beim Arbeitsamt und kam erst 4 Tage später wieder heim ...
Ich glaube das war für mich ein Schlüsselmoment, mein „aus den Wolken Fall“ Erlebnis.
Zum ersten Mal wurde mir klar das es evt immer wieder so laufen könnte, auch weil ich seine Erklärungen und Gründe bei diesem Mal kaum nachvollziehen konnte. Und schon gar nicht konnt ich verstehen das man dann gleich mehrere Tage lang versackt geht, ohne ein Lebenszeichen zu geben.
Zum ersten Mal seit Beginn der Beziehung zweifelte ich. Und mein Vertrauen in ihn und der Glaube an ihn bekam nen Knacks. Nicht irreparabel aber eben erstmal da.
Als Konsequenz auf die Aktion und auch um weitere heftige Abstürze in Zukunft zu verhindern entschloss er sich dann dazu sich wieder substituieren zu lassen. Das klappte sehr zügig, er kam binnen einer Woche ins Programm und bekommt seitdem Subutex bzw Suboxon.
Corona bedingt sehr schnell im Take Home für zwei Wochen was ihn aber auch überforderte, also sich das dann korrekt einzuteilen.
Nachdem er zwei, drei Monate lang jeweils dazu kaufen musste sprach er mit dem Doc und wurde höher dosiert. Womit er nach eigener Aussage gut zurecht kam.
Gleichzeitig machte er in dieser Zeit eine vom Arbeitsamt finanzierte Weiterbildung von zuhause aus. Schwieriger Lernstoff, anspruchsvolle Themen. Nicht leicht für ihn aber er blieb am Ball, kniete sich rein und schloss die Kurse sehr gut ab.
Auch danach blieb er scheinbar fokussiert, schrieb Bewerbungen wie wild, lernte nebenbei auf eigene Faust weiter.
Und sein Engagement zahlte sich aus, er fand einen Job. Den ersten richtigen Angestellten Bürojob seines Lebens. Er war irre stolz drauf und ich natürlich mit ihm.
Und er tat alles um mein Vertrauen zurück zu gewinnen. Was auch klappte.
In der Zeit direkt nach dem Rückfall rechnete ich nahezu täglich mit dem nächsten, war skeptisch, kritisch und spürte auch ne gewisse Distanz zu ihm meinerseits.
Im Lauf der folgenden Wochen spielte es es sich aber wieder ein, vor allem auch dadurch das er stabil wirkte und absolut zuverlässig war. Und immer wieder betonte wie happy er in seinem Leben sei und wie gut es ihm tut endlich angekommen zu sein.
Wir kamen zur Ruhe, „Drogen“ war kein ständiges Thema zwischen uns. Und wenn’s mal aufkam war die Kommunikation darüber entspannt und locker. Ein gegenseitiger Austausch ohne Forderungen meinerseits oder Versprechungen seinerseits. Gute Gespräche ohne bitteren Nachgeschmack. So empfand ich es und er nach eigener Aussage auch.
Es schien echt so als hätten wir unseren Weg gefunden.
Ich muss den Beitrag teilen, zu viele Zeichen …